Lesereise Friaul und Triest
Schreiben gepflegt habe. In jenen Jahren habe er sich wie in einem doppelten Exil gefühlt, als missachteter Autor in der inneren Emigration, und das an einem Ort, der ihn immer wieder an Dublin erinnerte: eine Stadt, die trotz der vielen Einwohner klein geblieben ist, dazu die Lage am Meer, die Kanäle, die Vitalität des Dialekts.
Schmitz gelingt es, Joyces Empfindungen nachzuvollziehen. Er versucht, ihm materiell unter die Arme zu greifen, indem er ihm weitere Schüler und eine Stelle in der Scuola Superiore di Commercio Revoltella vermittelt. Später bringt er ihn als Englischkorrespondenten in seiner Fabrik unter. Umgekehrt macht sich Joyce für den Schriftsteller Svevo stark. Sein erster Versuch, ihm zu neuer Aufmerksamkeit zu verhelfen, scheitert. Im Triest des beginnenden 20. Jahrhunderts, da sich die italianità zu neuen Höhen aufschwingt, kann man den Romanen eines Italo Svevo wenig abgewinnen. Sein Porträt des gebrochenen, müde gewordenen Bürgertums sei der Aufbruchsstimmung nicht förderlich, heißt es. Die Helden seien Psychopathen, narzisstisch in ihre Schuldkomplexe und Obsessionen verstrickt. Kein Vorbild fürs Volk. Zudem wird Svevo vorgeworfen, er beherrsche nicht einmal die italienische Hochsprache und müsse auf den triestinischen Dialekt ausweichen.
Missverständnisse ohne Zahl. Joyce ist enttäuscht, und Schmitz wohl auch. Gleichzeitig fühlt er sich neu motiviert. Im Frühjahr 1923 bringt er seinen »Zeno Cosini« heraus. Doch nun erfährt er ein weiteres Mal, was es heißt, ignoriert und mit Schweigen bedacht zu werden. In seiner Verzweiflung und Niedergeschlagenheit schickt er ein Exemplar des Romans an James Joyce. Der lebt inzwischen in Paris und ist seit der Veröffentlichung seines »Ulysses« in den Olymp der zeitgenössischen Literatur aufgestiegen. Schmitz klagt ihm sein Leid, Joyce reagiert umgehend: »Warum regen Sie sich auf? Sie müssen wissen, dass es bei Weitem Ihr bestes Buch ist.« Er leitet den Roman weiter. Kurz darauf setzt in Paris eine breite Rezeption des Buches ein, die verspätet und zögerlich auch auf Italien übergreift und schließlich in eine Reihe von Übersetzungen mündet. Svevo wird als italienischer Proust gefeiert und erlebt einen späten Triumph. Eine Reihe junger Autoren schließt sich ihm an, Eugenio Montale, Giani Stuparich oder Umberto Saba.
Ettore Schmitz fühlt sich bestätigt, endlich. Er schreibt eine Reihe von Erzählungen und plant eine Fortsetzung seines »Zeno Cosini«. Doch er zweifelt an seinen Kräften. »Die Zeit der Illusionen ist vorbei«, erklärt er im Freundeskreis. »Ich erlebe höchstens noch einen goldenen Sonnenuntergang.« Kurz darauf, am 13. September 1928, ist er tot, gestorben an den Folgen eines Autounfalls.
Ob Dublin oder Triest, Joyce oder Svevo: Beide Städte verbeugen sich heute vor ihren berühmten Söhnen. Triest hat gleich beide Dichter ins Herz geschlossen, inniger denn je. Inzwischen rühmt man sich des berühmten Mister Joyce, den man einstmals als verschrobenen Englischlehrer und Trunkenbold verspottet hatte, und bietet Spaziergänge auf seinen Spuren an: von seinen diversen Wohnungen zur Berlitz School und seiner bevorzugten Buchhandlung und Apotheke, von seinen Stammcafés durch die Trattorien und Bars.
Eine ähnliche Tour führt zu den Schauplätzen der Romane des Italo Svevo und streift dabei auch das kleine Museum, in dem man seiner gedenkt. Eine späte Genugtuung? Das allemal. »La vita non è né brutta né bella ma è originale.« Das Leben sei weder hässlich noch schön, es sei originell. Zeno Cosini alias Italo Svevo. Hört man ihn lachen?
Die Therapie heißt Freiheit
Weg mit den Mauern! Triest und die offene Psychiatrie
Marco Cavallo will raus. Zwei Monate lang hat er in einem zur Werkstatt umfunktionierten Pavillon gelebt, nun zieht’s ihn in die Welt. Doch ganz so einfach scheint’s nicht zu gehen: Marco Cavallo hält sich an keine Norm. Er ist groß, riesengroß, drei Meter hoch und gut sechs Meter lang. Für ein Pferd wie ihn sind Häuser nicht gemacht. Was also tun? Die Türstöcke herausreißen, wird kurzerhand beschlossen. Marco muss endlich in die Freiheit entlassen werden.
Am 25. Februar 1973 setzt sich in Pavillon P von San Giovanni, wie das Psychiatrische Krankenhaus von Triest heißt, ein seltsamer Zug in Bewegung: Ein blaues Pferd aus Pappmaschee wird durchs Anstaltsgelände zum Tor der Klinik geschoben. Dort versammeln sich Patienten, Ärzte, Schwestern und Sympathisanten, um
Weitere Kostenlose Bücher