Lesereise - Inseln des Nordens
Hafenbecken und genießt das Farbenspiel: »Wahnsinn – so schön wie heute war es schon lange nicht mehr«, schwärmt er über das Polarlicht, das über den nordischen Winterhimmel wabert.
Im Gegensatz zu mir hat Hammerbeck dieses Naturschauspiel schon Hunderte Male gesehen. Der gebürtige Hamburger ist Maler und lebt seit mehr als zwanzig Jahren auf den Lofoten. Das Nordlicht ist für ihn immer wieder eine Quelle der Inspiration – und ein Motiv für seine Malerei. Schon früh hat der ehemalige Waldorfschüler seine Vorliebe für das Malen mit Wasserfarben entdeckt – und die sind das ideale Medium für Nordlichtmaler wie Hammerbeck: Denn wie das Licht am Himmel zerfließt die Farbe auf dem Papier.
Nie gleicht ein Nordlicht dem anderen. Mal begnügt es sich bescheiden mit einer Ecke des Himmels, dann wieder nimmt es fordernd das ganze Firmament ein. In der einen Minute verharrt es ruhig und unbeweglich, nur um sich wenig später wie eine wild flackernde Feuersbrunst über den Himmel auszubreiten.
In der Zeit zwischen November und März flirren Polarlichter fast täglich über den Himmel. Für Physiker sind sie nur elektrisch geladene Teilchen des Sonnenwindes, für die Norweger des Nordens der Farbtupfer in der langen Winternacht – und für die Finnen ein »Fuchsschweif« am Firmament. Einer samischen Legende zufolge entsteht das Nordlicht, wenn ein Fuchs mit seinem Schwanz über die Schneewehen peitscht, sodass die Funken – die Nordlichter – sprühen. Weniger poetisch sehen es die Japaner. Sie glauben, das Nordlicht zu beobachten stärke die Manneskraft – und dass ein unter dem Nordlicht gezeugtes Kind besonders schön und klug wird. Der Tourismusbranche Norwegens kann’s recht sein: Im Winter sind im Norden auffällig viele Japaner unterwegs.
Die Lofoten, eine Inselgruppe aus über achtzig Inseln, liegen weit im Norden, zwischen hundert und dreihundert Kilometer nördlich des Polarkreises. Anders als erwartet ist dort das Klima nicht arktisch kalt, sondern dank des Golfstroms, in dem die Inseln wie in einem warmen Wasserbad liegen, erstaunlich mild. Natürlich fällt auch hier das Thermometer im Winter häufig unter null. Doch Temperaturen von minus zehn oder gar minus zwanzig Grad, wie sie im Landesinneren Norwegens normal sind, sind hier selten.
Trotzdem beginnt auch der nordlanderprobte Maler langsam zu frösteln. Er mummelt sich noch weiter in seinen Parka ein und stapft zu seinem Kleinwagen, mit dem er sich auf den Heimweg durch die nordische Nacht macht. Die ist inzwischen wieder in tiefes Dunkel versunken. Denn nicht nur was die Form, sondern auch was die Länge seiner Auftritte betrifft, ist das Nordlicht ein launischer Begleiter.
Hammerbeck wohnt zwei Autostunden von Svolvær entfernt, der mit viertausend Einwohnern größten Stadt der Inselgruppe. In seinem Heimatdorf Digermulen stehen nur eine Handvoll Häuser – Farbpunkte zwischen dem Hausberg Digermulkollen und der Nordsee. Der Berg ist nur gut fünfhundert Meter hoch und nimmt sich in der Landschaft der Lofoten bescheiden aus. Doch jedes Jahr im Sommer ist er das Ziel einer Wanderung. Dann feiert ganz Digermulen den »Kaisertag« und zieht die Hänge hinauf. 1889 war nämlich der deutsche Kaiser Wilhelm II. hier mit seiner Jacht gelandet. Seine Majestät war so begeistert, dass er mehrmals auf die Lofoten zurückkehrte und damit gleichsam den deutschen Norwegentourismus erfand. Auf seinen Spuren waren nämlich schon bald viele seiner Untertanen unterwegs.
Hammerbeck ist jedes Jahr bei der Besteigung mit dabei, doch jetzt, im Winter, schaut er sich den Berg lieber von unten an. Das ist auch anzuraten, denn sein verschneiter Gipfel macht trotz der vergleichsweise geringen Höhe keinen einladenden Eindruck.
Zu Hause angekommen, schält sich Hammerbeck aus seiner Winterkleidung, lässt seinen langen Körper in das Sofa sinken und deutet auf das Panoramafenster seines Wohnzimmers. Die Aussicht, die er von hier genießt, ist grandios. Jetzt am Abend muss ich seiner schwärmerischen Beschreibung glauben, erst am nächsten Tag sehe ich alles mit eigenen Augen: die dramatische Bergkette der Austvågøy-Berge und tief unten am Meer den Eingang zum Raftsund.
Wie jeder der hundertfünfzig Einwohner des Ortes hat der Maler einen unverbaubaren Blick aufs Wasser, den Fjord und die Fischer- und Freizeitboote, die vor der Küste unterwegs sind. Schiffe sind Hammerbecks zweite Leidenschaft. Das ist vermutlich nicht ungewöhnlich für einen
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