Lesereise - Israel
großen Flecken die Position aller intakten Schweißdrüsen preis.
Der Sommer ist Israels schwerste Jahreszeit. Dabei bietet er gegenüber seiner europäischen Variante hauptsächlich einen Vorteil: Von Mai bis Oktober kann man sich darauf verlassen, dass es nicht regnen wird. Wer in Deutschland wünscht sich nicht so eine halbjährige Blauerhimmelgarantie? Der Sommer hat jedoch auch einen Nachteil: Von Mai bis Oktober kann man sich darauf verlassen, dass es nicht regnen wird. Außer in klimatisierten Häusern oder Einkaufszentren gewährt die Hitze keine Pause. Als naturverbundener Mensch muss man machtlos mitansehen, wie sich die mit bunten Blumen bespickten, wie von Claude Monet gemalten grünen Hügel in karge Wüsten verwandeln. Plätschernde Bergbäche vertrocknen zu staubigen Bachbetten, grüne Wiesen werden zu braunen Stachellandschaften.
Nur an einem Ort herrscht zu jeder Tageszeit eine erfrischende Brise, nämlich an den pudrig-weißen Sandstränden der viel zu kurzen Mittelmeerküste. Zieht man nämlich die zahlreichen militärischen Einrichtungen, Naturschutzgebiete oder Refugien der Superreichen ab, verfügt Israel über etwa einen Zentimeter Strand pro Einwohner. Im Sommer drängen sich deshalb Tausende an den Stränden, um vor der unerbittlichen Sommerhitze und -feuchte Zuflucht zu suchen. Wer hier sein Handtuch auf der Suche nach Stille und Romantik ausbreitet, liegt oft falsch. Ruhe und Ausgeglichenheit sind vor Ort eher unbekannte Konzepte, und so gehört Matkot zu Israels beliebtesten Strandritualen. Bei diesem Spiel stehen sich zwei Menschen im seichten Wasser gegenüber und schlagen mit Holzschlägern einen Gummiball hin und her. Die Entfernung zwischen den Spielern kann bis zu zwanzig Meter betragen, was einen kraftvollen Schlag notwendig macht, damit der geschossähnliche Gummiball den Abstand überbrückt.
Ein Aspekt dieses Spiels ist hochsympathisch: Es hat keine Regeln, und folglich ist jeder, der mitmacht, Sieger. Verloren haben nur die, die nicht mitspielen und sich, mangels eigener Holzschläger, der Gummigeschosse nicht erwehren können. Schon von Weitem hört man das charakteristische Klopfen, das nur unterbrochen wird, wenn einer der Spieler einem Ball hinterherlaufen muss oder wenn ein naiver Badegast einen Schmerzensschrei ausstößt, weil er auf dem Weg ins oder vom Meer von einem Ball getroffen wurde. Natürlich entschuldigen sich die Spieler nicht, sondern bringen ihren Ärger darüber zum Ausdruck, dass ihr Spielfluss unterbrochen wurde. Wie egoistisch, durch ihren improvisierten Truppenübungsplatz zu schlendern, nur um Erfrischung im kühlen Nass zu suchen!
Wenn die Dämmerung eintritt und es für Matkot zu dunkel wird, kann man sich mit dem israelischen Sommer wieder versöhnen. Man lässt eine süße Wassermelone im Mund zergehen, die Brise frischt auf und die Sonne taucht als roter Feuerball ins blaue Meer ein. Spätestens dann weiß man, dass auch der Sommer in Israel schön sein kann.
Trommeln, Tanz und Toleranz
Tel Aviv ist die Vergnügungsmetropole und kulturelle Spielwiese Israels
Nichts fängt das Wesen Tel Avivs wohl besser ein als ein Besuch auf einem vor Schmutz starrenden Wellenbrecher an der Grenze zwischen Tel Avivs gutbürgerlichem Norden und dem trendigen Jaffa im Süden der Stadt. Jeden Freitag spiegelt sich ausgerechnet an diesem Ort, an dem die frische Meeresbrise nicht den Gestank von Urin und Bier verdrängen kann, die eigentliche Schönheit dieser Stadt wider. Keine festen Regeln ordnen eine urbane Tradition, die anderswo ihresgleichen sucht. Schon der Zeitpunkt des Ereignisses gibt den anarchischen Charakter der Zusammenkunft preis: Niemand schickt Einladungen aus, keiner sagt, wann man sich trifft. Menschen spüren es einfach. Es hängt zum Beispiel vom Wetter ab: Je heißer und länger der Tag, desto später trifft man sich. Im Winter beginnt das allwöchentliche Ritual bereits in den Mittagsstunden. Im Sommer kann man das rhythmische Klopfen des Wellenbrechers erst gegen Abend vernehmen, wenn die Brise Kühlung bringt, die gleißende Sonne einen versöhnlichen Rotton annimmt und die Menschen sich wieder aus ihren klimatisierten Wohnungen trauen.
Ungezwungen strömen Männer, Frauen und Jugendliche zum »Trommelstrand«, wie er inzwischen heißt, jeder mit seinem Instrument. Die Ersten setzen sich nebeneinander und trommeln los. Ein sich ständig wandelnder Rhythmus übertönt bald das Tosen der Wellen. Die Musik wird bis in die frühen
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