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Lesereise - Jakobsweg

Lesereise - Jakobsweg

Titel: Lesereise - Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Freund
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Tee und Armagnac. Hier spielen sie uns noch dazu Falco (»Der Kommissar«), was uns fast ein bisschen Heimweh verursacht in dieser Stadt mit dem originellen Namen. Condom heißt tatsächlich so und verfügt auch über einen riesigen Dom, der die Stadt beherrscht und neben den Armagnac-Kellereien zu deren Hauptsehenswürdigkeiten zählt. Aber viel aufregender als Condom fand ich, dass wir heute, hinter einer Hügelkuppe, plötzlich eine mächtige Bergkette in der Ferne leuchten sahen: die Pyrenäen! Sie sind schon noch sehr weit entfernt, aber wir sind guten Mutes, zu ihnen zu gehen.
    Mit den anderen Pilgern teilt man das eigenartige Schicksal, Nomade zu sein. Dadurch teilt man viele Erfahrungen mit ihnen und außerdem Dusche, Klo, Schlafzimmer und Küche. Das macht aus Wildfremden sehr schnell so etwas wie Familienmitglieder.
    Zum Beispiel Sophie, mit der wir gestern und heute den Abend verbracht haben. Sie wirkt fröhlich, ist 33 Jahre alt, raucht filterlose Zigaretten, ist Redakteurin bei verschiedenen Medien und sehr sympathisch. Seltsam, ihr »Unfall« vom ersten Tag, bei dem sie sich die Rippe »ausgerenkt« hat, ist nur durch eine ungeschickte Bewegung passiert. Es scheint so, als würde man, wenn man den Jakobsweg gehen will, sein »Binkerl« mitbekommen, auch wenn man das gar nicht will. Sophie: »Immer, wenn man glaubt, alles geht gut, passiert etwas, was dich in eine Situation bringt, in der du auf Hilfe angewiesen bist, in der du in Not kommst oder die zumindest unangenehm ist.« Als Pilger bringt man sich künstlich in eine Situation, aus der man dann tatsächlich manchmal nicht mehr herauskommt.
    Mir ist es leider heute auch so gegangen: Nachdem mich sonst oft die Hüfte oder das Knie geschmerzt hatten, habe ich mir heute gedacht: Alle Schmerzen vergehen – im wahrsten Sinne des Wortes! Das ist der erste wirklich unbeschwerte Tag! Etwa zehn Minuten später bin ich auf einer Asphaltstraße (!) in ein Schlagloch gekippt und habe mir den Knöchel derartig verstaucht, dass er innerhalb von Minuten zu Tennisballgröße angeschwollen ist und ich nur noch weiterhumpeln konnte. Ist das nicht eigenartig? Solche und ähnliche Geschichten hört man von vielen Gehern. Der Weg scheint es nicht zu erlauben, dass man ihn einfach so zum Spaß beschreitet. Viele beginnen als Touristen, und alle enden als Pilger.
    Durch mein Missgeschick haben wir hier in Condom nicht nur Henri und Vélimir, sondern auch Sophie und drei »neue« Pilger getroffen – und das in einem besonders hässlichen, krankenhausartigen Schlafsaal. Ich bin gespannt, wie es morgen, oder besser: wie ich morgen weitergehen soll. Momentan tut mir jeder Schritt weh. Doch darüber sollte ich mir den Kopf nicht zerbrechen. Denn wenn ich bisher etwas auf diesem Weg gelernt habe, dann nur, nicht zu weit vorauszudenken, denn es kommt ohnehin immer ganz anders. Heute wären wir ohne mein Umknöcheln viel weiter als 16 Kilometer gegangen, also am Abend auch woanders gelandet. Allerdings hätten wir dann Sophie nicht wiedergetroffen. So sieht man als Pilger immer das Gute an allem, was vielleicht daran liegt, dass einem sowieso nichts anderes übrigbleibt. Überhaupt werde ich ganz fatalistisch auf dieser Wanderung. Es drängt sich der Eindruck auf, dass hinter allem eine Absicht steht, nur verstehen wir nicht, welche.
    Wir gehen übrigens seit einigen Tagen hinter einem Schweizer her, der mit seinem Esel auf dem Jakobsweg unterwegs ist. Der »Pilgerpost« nach zu schließen muss er zwei Tage vor uns sein. Statt uns nach Markierungen umzusehen, suchen wir immer die kleinen Hufabdrücke des Esels. »Schau, der Esel!«, rufen wir ganz glücklich aus, wenn wir im Schlamm seine Spuren finden, und wir kommen uns gar nicht blöd dabei vor, einem Esel nachzulaufen.
    Jetzt muss ich aber schnell meinem Mann nachhumpeln. Er sehnt sich anscheinend schon nach unserem Matratzenlager! Alles Liebe, Deine Ba.
Le Haget, 16. Oktober
    Ein Nachtrag zu Condom: Ursula und Marco waren da! Endlich haben wir wieder eine Spur von ihnen – und was für eine! »Heute schreiben wir ausnahmsweise nichts über das Essen (obwohl es sehr gut war!). Das Pilgerleben kann auch Nachteile haben. Wenn man zusammen geht, verschieben sich die Laster. Ich rauche mittlerweile, und Marco trinkt Rotwein. Mal sehen, wie wir in Santiago ankommen. Die gîte ist super, und die Duschen sind schon fast einmalig. Danke! Ursula.
    Das ist schon frech, ich habe die erste Pizza in meinem Leben gezaubert – und sie

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