Lesereise - Jakobsweg
ist auch noch essbar! Und die Ursula will nichts über das Essen schreiben. Ob sie es auch wirklich gut fand?! Wir danken für die saubere, grosse, komfortable, noble, schöne, gute, praktische, gutriechende, moderne, gastfreundliche, ruhige, beleuchtete, raucherfreundliche, stadtnahe, hochliegende, farbenfrohe Unterkunft und auch für die Hängematten. Marco.« (Mit den Hängematten meint Marco übrigens die Betten, und auch den Rest kann ich nur als blanke Ironie interpretieren.)
In der Früh konnte Barbara fast nicht gehen. Was tun? In Condom wollten wir keinesfalls bleiben, dazu war uns die Herberge zu unsympathisch. Eine ganze Etappe zurückzulegen war mit Barbaras Fuß nicht möglich. Aber in Condom gibt es Busse – in die richtige Richtung. In einen solchen haben wir uns gesetzt, uns tief in den Sitz gekauert und das Gesicht vom Fenster abgewandt, damit uns unsere »Kollegen« ja nicht ertappen. Dabei, so hat uns die Dame verraten, die die Buskarten verkauft, sei es durchaus klassisch (»c’est classique«), sich a) vor Condom zu verletzen und dann b) den Bus nach Eauze zu nehmen.
Sicher haben wir vom Weg viel versäumt. Es ist irgendwie unheimlich, mehr als eine Tagesetappe in weniger als einer Stunde zu fahren. Aber die Strecke von Eauze nach Le Haget war für Barbaras wehen Knöchel noch zumutbar. Beim Gehen ging die Schwellung etwas zurück. Allerdings musste sich Barbara darauf konzentrieren, nicht noch einmal umzuknöcheln, denn manche Bauern pflügen den Weg einfach um, der am Rand ihrer Maisfelder entlangführt, was das Vorwärtskommen gelegentlich schwierig macht. Überhaupt sind die départements Gers und Landes von extensiver Landwirtschaft geprägt: Da gibt es riesige Flächen mit Mais, der in erster Linie zur Fütterung der Millionen Enten und Gänse dient, deren Leber wiederum die berühmteste Spezialität des Sud-Ouest ist.
Zum Glück gibt es noch einige kleinere Bauern. Sie sorgen dafür, dass die Landschaft nicht zu eintönig wird und dass man auch ein paar Tiere sieht. Wir haben (mit altem Brot, das wir stets mit uns führen, und einigen Käserinden) wieder viele »Freunde gemacht«: 3 Pferde, 1 Esel, 1 Katze, 1 Eidechse und 2 Hunde. Letztere gehören zu Le Haget, einem kleinen Bauernhof, dessen Besitzer auch eine kleine Pilgerherberge betreiben. Xavier, der rauschebärtige, sympathische Hausherr, hat uns im Matratzenlager gleich neben dem Stall untergebracht. Die Dusche befindet sich im Stall gegenüber. Alles hier ist sehr spartanisch, aber wir fühlen uns wohl. Der Hof ist gepflegt und schön. Eine Allee mit riesigen Zedernbäumen führt zu den alten Mauern, und die Hunde kommen einem freundlich entgegengelaufen. Xavier empfängt uns mit zwei Gläsern Bier. Als er unsere verwunderten Blicke sieht, meint er nur lachend: »Lasst es euch schmecken und schaut nicht so erschrocken. Die Übernachtung wird euch deshalb nicht mehr kosten!« Wir lassen es uns schmecken. Und um acht Uhr, machen wir aus, kommen wir ins Haupthaus hinüber zum Abendessen.
Xavier empfängt uns mit Bier, Oliven und Hartwurst, »bis die Vorspeise fertig ist«. Seine Frau ist auch schon da, doch sie hält sich im Hintergrund. Sie ist Lehrerin und hat mit der Pilgerbetreuung nichts zu tun. »Das ist Xaviers Hobby«, sagt sie. »Ja, es ist wirklich nur ein Hobby«, ruft Xavier aus der Küche heraus. »Hier kommen ja nicht so viele Pilger vorbei. Aber mich interessieren Menschen. Ich unterhalte mich gerne mit ihnen. Und deshalb betreibe ich diese kleine Pilgerherberge. Die meisten Pilger sind nämlich außergewöhnliche Menschen. Wobei ich sagen muss, dass es wirklich überdurchschnittlich viele Verrückte unter ihnen gibt.« Früher, erzählt Xavier, habe der ganze Ort hier Hôpital geheißen und sei ein großes Pilgerhospiz des Ordens vom Heiligen Grab gewesen, und er setze jetzt mit seinen bescheidenen Mitteln die Tradition fort. Xavier kennt sich gut mit dem Jakobsweg aus. Er macht sich ein bisschen über alle Bestrebungen lustig, den »richtigen« historischen Weg zu suchen: »Der historische Weg ist eine Farce. Alleine zwischen der Kapelle Sainte Christie hier ums Eck und der Nationalstraße gibt es auf einer Strecke von hundertfünfzig Metern sieben nachweisbare historische Wege. Der richtige Weg hat doch nichts mit Geografie zu tun. Der Jakobsweg, das sind die Menschen, die auf ihm gehen.«
Im Wohnzimmer steht ein Flügel, geöffnet, mit Noten darauf. Um das Bild abzurunden, hat sich ein Hund malerisch
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