Lesereise - Jakobsweg
Salatblätter, eine Dose Thunfisch, ein Stück Fleisch, das er elegant drittelte, und natürlich die obligatorischen laschen Pommes frites – die aber nicht zu knapp. Wir blieben die einzigen Gäste. Um den Abend zu krönen, erzählte uns Charles von der hervorragenden Disziplin und anderen Tugenden der französischen Fremdenlegion.
Anderntags, bei unserem Frühstück im Tankstellenbuffet, der einzigen geöffneten Bar in Los Arcos, gab sich Charles pathetisch gestimmt: »Unter den Römern haben die spanischen Sklaven gut gearbeitet, aber was ist jetzt, nach dem Untergang des Römischen Reichs, aus diesem Land geworden? Ich sage Ihnen, werter René, Ihr, die Germanen, und wir, die Franken, haben die Aufgabe, Europa in eine leuchtende Zukunft zu führen.« Ganz uneigennützig rieten wir ihm, für ein paar Kilometer den Bus zu nehmen, da die Etappe nach Logroño sonst zu schwierig für ihn würde. Er nahm unseren Vorschlag als eine Art »Lizenz zum Schummeln« dankbar an.
Die Hoffnung, es würde ein ruhiger Tag werden, erfüllte sich trotzdem nicht. Die ersten zwei Stunden wanderten wir durch ein sumpfiges Gebiet und wurden permanent von unheimlich gut organisierten Gelsengeschwadern angegriffen. Wir waren zwar mit Stichen übersät, dafür aber sensationell schnell. Zum ersten Mal unterschritten wir deutlich die Zeitangaben unseres Pilgerwegführers, den ein Sprintläufer geschrieben haben muss.
Das Mittagessen unter Mandelbäumen tröstete uns – frisch vom Baum schmecken die Mandeln besonders gut. Doch, wie wir es Charles gesagt haben – die Etappe zieht sich wirklich. Gott sei Dank bleibt das Dunkelschwarz des Himmels ohne Konsequenzen – die »precipitaciones debiles« verschonen uns.
Die Vororte von Logroño gleichen echten Slums: elende Wellblechbuden, Schmutz, Hühner im Wohnzimmer, Kettenhunde, Fernsehantennen, magere Kinder mit traurigen Augen. Mittendrin wohnt eine alte Frau, eine weitere »Legende« des Weges. Kein Pilger kommt »ungestempelt« an ihr vorbei. (Das Sammeln von Stempeln gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen der Pilger. Oft glaubt man, sie gehen stempeln, und nicht pilgern.) Die Frau gibt allen, wie programmatisch auf ihrem Stempel vermerkt, »Wasser, Feigen und Liebe«, und sie nimmt dafür gerne Pesetas. Wir sehen in ihrem Pilgerbuch, dass Ursula vor zwei Tagen hier vorbeigekommen ist, Marco vor drei (»Pax et Bonum«).
Ziemlich erschöpft überqueren wir die Brücke über den schon recht breiten Ebro (lateinisch Iberus), dem die Iberische Halbinsel ihren Namen verdankt.
Logroño, 29. Oktober
Liebe Michi!
Es klingt vielversprechend – wir gehen gerade durch die Provinz Rioja, und heute Abend, fürchte ich, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als uns mit dem regionalen Wein zu betrinken. Wir sitzen hier gerade in einem Waschsalon in einem Vorort, und alle starren uns an. Vor allem René wird bestaunt, weil er tatsächlich ausschließlich mit Shorts bekleidet dasitzt und auf die Wäsche wartet, genau wie der Typ aus der Jeanswerbung, nur mit weniger Muskeln.
Das refugio hier in Logroño gleicht eher einem Gefängnis. Nein, natürlich ist alles sehr sauber, und auch der Empfang durch den hospitalero, so heißen die ehemaligen Pilger, die sich freiwillig um die refugios kümmern, war überaus herzlich. Doch die Herberge schließt um 21 Uhr ihre Pforten. Jetzt ist es 20 Uhr, und unsere Wäsche wird gerade erst geschleudert. Ich frage mich, wie die Pilger hier in Logroño jemals zu ihrem Abendessen kommen. Sie müssen genau zu der Zeit »zu Hause« sein, zu der die ersten Restaurants öffnen. Mich wundert es, so gesehen, nicht, dass viele Pilger in Viana übernachten und Logroño anderntags mit dem Bus durchqueren. Sie versäumen nicht viel. Hier, sagt mir René, war nur Toni Polster glücklich (das ist ein Fußballspieler), und auch nur, weil er ein stets heiteres Gemüt hat.
Gerade habe ich die Wäsche in den Trockner gegeben, und ich habe kein gutes Gefühl. Vor allem die Schlafsäcke sind noch tropfnass. Und das ausgerechnet hier, wo die Betten des refugios plastikbezogen sind und es nicht eine Decke gibt!
Eine Stunde später
Die Schlafsäcke sind immer noch nass. Und der Rest der Kleider penetrant feucht. Es gab nur einen einzigen Trockner in dem Waschsalon, der sich als eine Art soziales Zentrum entpuppte (Waschsalon und Trockner). Es hieß also: warten. Doch genau das konnten wir nicht. René hat also die nasse Hose und das feuchte T-Shirt angezogen (hauteng), den Rest
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