Lesereise Kanarische Inseln
Hochhäusern. Die einzige Ausnahme, das ehemalige »Gran Hotel« von Arrecife, das sich lange als ausgebrannter Kasten wie ein mahnender Zeigefinger in den Himmel streckte und inzwischen nach Sanierung als Bürogebäude dient, wurde während seines dreijährigen Aufenthalts in New York hochgezogen. Manrique, der international schneller zu Ruhm und Anerkennung fand als in seiner spanischen Heimat, ist heute weit weniger für seine Gemälde und Keramiken berühmt als für das »Gesamtkunstwerk Lanzarote«, an dem er mit ungebrochenem Elan gewerkelt hat, bis er 1992, nur wenige Meter von der damals neu gegründeten Fundación Manrique entfernt, bei einem Autounfall tödlich verunglückte.
[86]
Überall auf der Insel hat César Manrique seine gestalterischen Spuren hinterlassen, ohne die Lanzarote heute um zahlreiche touristische Attraktionen ärmer wäre. Unübersehbar stehen an Kreuzungen und Kreiseln seine zuweilen grellbunten Windspiele, weithin sichtbare Markierungspunkte auf der überschaubaren Insel, die man in wenig mehr als einer Stunde auf gut ausgebauten Straßen durchmessen kann. Auch das 1999 durch einen spektakulären Neubau abgelöste Flughafengebäude trug seine Handschrift. Er entwarf das Restaurante El Diablo in den Feuerbergen ebenso wie das den fleißigen Inselbauern gewidmete Monumento al Campesino in der Inselmitte. Aus der ehemaligen Festung Castillo de San José in Arrecife machte er ein herausragendes Museum für moderne Kunst. Er ließ nahe der Opuntienfelder im Norden in einem alten Steinbruch einen Kakteenpark anlegen. In die steil aufragende Felskante des Risco de Famara setzte er das Aussichtsrestaurant Mirador del Río, das wie das Auge eines Riesen aus der Bergwand auf das benachbarte Eiland La Graciosa schaut. Neben dem Mirador ist das unterirdische Wunder »Jameos del Agua« sein spektakulärstes Werk. Das von den Ausbrüchen des Vulkans Monte Corona hinterlassene, fast sechs Kilometer lange Höhlen- und Blasensystem reicht bis in den Ozean. Als Manrique Ende der Sechziger auf seine Insel zurückkommt, wird das größte der Gewölbe als Abfallgrube genutzt. Heute findet sich in der Cueva de los Verdes ein klarer See mit einer weltweit einzigartigen blinden Krebsart. Sphärenmusik erklingt unter der Felskuppel.
[87]
Selbst die Kellner der Bar flüstern in diesem fast rituellen Ambiente. Wer am anderen Ende wieder ans Licht steigt, wird geblendet vom Kontrast eines grellweißen, künstlich angelegten Pools, in dem das Wasser in stechendem Türkis schimmert, als wäre es eingefärbt. Auch das ehemalige Privathaus, nur ein paar Schritte von der Stelle, wo Manrique den Tod fand, ist zu besichtigen. Heute dient das Anwesen als Museum und Sitz der Fundación César Manrique.
Innerhalb des letzten Vierteljahrhunderts hat sich die Zahl der Touristen auf Lanzarote verzweihundertfacht. Mehr als eineinhalb Millionen ausländische Urlauber zieht die Insel inzwischen alljährlich an. Manrique hat sich dieser Entwicklung nicht verschlossen, er wollte sie vielmehr beeinflussen und hat selbst an einem Luxushotel und einem Appartementkomplex mitgewirkt. Ebenso hat er durchgesetzt, dass die traditionelle Bauweise mit den gekalkten, kubistisch anmutenden Häusern erhalten blieb. In den ehemaligen Bauerndörfern haben die Bauten sattgrüne Fensterläden und Türen, an der Küste, wo einst die Fischer wohnten, sind sie in leuchtendem Blau gestrichen, als gelte es, die Farbe des Ozeans zu spiegeln. Traditionelle, gewachsenen Orte, wie das Dorf Yaiza im Süden oder die ehemalige Inselhauptstadt Teguise weiter nördlich, prunken mit sorgsam restaurierten historischen Gebäuden, strahlen vornehme atlantische Zurückhaltung aus.
Oberhalb von Teguise thront auf einem Hügel das Castillo de Santa Bárbara, einst Fluchtburg der
[88]
Bevölkerung bei Piratenüberfällen. In den dicken Mauern ist heute ein Museum der Emigration eingezogen, das eindrucksvoll zeigt, wie das Dasein auf einer Insel ohne natürliche Quellen oder Flüsse über Jahrhunderte nur die Abwanderung in die Neue Welt als Alternative zu bitterer Armut übrig ließ. Wie etwa 1768, als die schlimmste Dürre in der Geschichte des Eilands ganze Großfamilien zwang, auf den Nachbarinseln oder in Südamerika eine neue Existenz zu gründen, wenn sie nicht schlicht verdursten wollten. Alberto Vázquez-Figueroa beschreibt in seinem Werk »Océano« eindringlich die bedrohliche Abhängigkeit der Insulaner von den Launen der Natur. Jede Wolke am Himmel über
Weitere Kostenlose Bücher