Lesereise Kanarische Inseln
Hälfte herausgebrochen und in seine Fluten gerissen. Zurückgeblieben ist der steile schwefelgelbe Halbmond der hinteren Abbruchkante und, exakt der Form folgend, die jadegrün schimmernde Sichel eines extrem salzigen Sees im einstigen Schlot, nur durch einen Streifen schwarzen Strandes vom kobaltblauen Ozean getrennt, der hier mit furiosem Impetus auf das Ufer rennt. Im groben Sand finden sich reiskorngroße Halbedelsteine zuhauf, grüner Olivin, der hier statt Muscheln gesammelt wird.
Im Jahr 1336 sticht der Genueser Seefahrer Lancelotto
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Malocello im Auftrag der portugiesischen Krone in See, um die westafrikanische Küste jenseits des gefürchteten Kap Bojador zu erkunden, und landet stattdessen auf der nordöstlichsten der kanarischen Inseln. Dort findet er nur heidnische »Wilde« vor und lässt das Eiland darum auf der Weltkarte als »Insula de Lanzarotus Marocelus« auf seinen lateinisierten Namen eintragen. 1402 wird die Insel von dem im Auftrag der kastilischen Krone agierenden normannischen Adligen Jean de Béthencourt erobert. Eine päpstliche Bulle segnet den »Kreuzzug« gegen die vermutlich von afrikanischen Berberstämmen abstammenden Ureinwohner ab. Ende des 15. Jahrhunderts erhält Spanien nach einem päpstlichen Schiedsspruch endgültig die Kanarischen Inseln zugesprochen, während Portugal die Kapverden und Madeira zugeschlagen werden.
Jean de Béthencourt landete seinerzeit an der Punta de Papagayo im Südosten Lanzarotes, in jenen stillen flaschengrünen Buchten, die oft mit karibischen Stränden verglichen werden und vom gleichen goldhellen Sand gesäumt werden, der sich auf dem benachbarten Fuerteventura findet. Die Buchten der Punta de Papagayo gelten als die schönsten Strände der Insel.
Noch immer ist das inzwischen unter Naturschutz stehende Gebiet unbebaut und, sofern man nicht von Playa Blanca hierher wandert oder sich mit einem Schiff übersetzen lässt, nur über eine gute Viertelstunde Fahrt auf ruppigen Schotterpisten erreichbar. Seit einigen Jahren endet die Tour vor einer Schranke, an der man einen Wegzoll von
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wenigen Euro zu entrichten hat, der als Eintritt ins Naturschutzgebiet deklariert ist. Auf riesigen improvisierten Parkplätzen stehen die Leihwagen in Hundertschaften, und an den Wochenenden, wenn auch die Einheimischen Sonne und Strand genießen wollen, kann es eng werden an den insgesamt sieben Strandabschnitten. Zu Ostern campieren hier Tausende von lanzaroteños , um das Ende der kalten Jahreszeit zu feiern, die mit dicken Jacken und warmen Stiefeln beharrlich als ernsthafter Winter definiert wird, auch wenn die Urlauber die Kanaren gern als »Inseln des ewigen Frühlings« bezeichnen.
Im Rücken der Playas de Papagayo erhebt sich schroff der Atalaya de Femés, an dessen Kante das winzige Dorf Femés klebt. Hier hat Rafael Arozarena seinen Roman »Mararía« angesiedelt, der das Lanzarote der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts beschreibt. »Femés ist ein Dorf des Orients, mit den Winden aus Afrika auf die Insel gelangt, mit dem Sand der Sahara, Korn für Korn, nach und nach … Es kann natürlich auch eine Fata Morgana sein.«
Femés ist der schönste Ort der Insel, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Von der Felskante nahe der Dorfkirche schweift der Blick über die im Abendlicht rot glühende Ebene des Rubicón und das winzige, unbewohnte Eiland Lobos bis nach Fuerteventura.
Jede Insel pflegt einen Schutzpatron zu haben, aber Lanzarote musste sich dabei nicht allein auf lang verstorbene Heilige und Märtyrer verlassen. Neben der schmerzensreichen Jungfrau, die vor dem Weiler Tinguatón einst die Lavaströme angehalten
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haben soll, hat die Insel auch in jüngster Vergangenheit, zu Beginn ihrer touristischen Entwicklung vor etwa vierzig Jahren, in dem Künstler César Manrique eine Art Schutzheiligen gefunden. Manrique, der 1919 in der Inselhauptstadt Arrecife geboren wurde, kehrte nach dem Studium in Madrid und verschiedenen Auslandsaufenthalten in seine Heimat zurück. Ihm ist es vor allem zu verdanken, dass in der gemeinhin unbekümmert Beton klotzenden Sturm- und Drangzeit des Massentourismus auf Lanzarote manche »Sünde« verhütet wurde. Er setzte gemeinsam mit einem Lokalpolitiker durch, dass keine Reklametafeln die Insel verschandeln, keine Überlandleitungen mit Masten und Drähten die Landschaft überspannen – die Stromkabel wurden konsequent unter der Erde verlegt. Manrique kämpfte ferner erfolgreich gegen die Konstruktion von
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