Lesereise Kanarische Inseln
Katalysator in der Glasherstellung. Für kurze Zeit war das Kraut ein Exportschlager der Insel, brachte Wohlstand zu den majoreros , wie Leute von Fuerteventura genannt werden. Mesembryanthemum crystallinum könnte nun eine neue Karriere bevorstehen, da der Extrakt aus den Pflanzen als Heilmittel bei Hautkrankheiten wahre Wunder wirkt. Vor allem aber ist die Glitzerblume eine Schönheit. Wenn im Frühjahr die Sonne zu brennen beginnt, errötet die Pflanze und überzieht die karstigen Hänge der Insel mit purpurnem Kleid.
Ockergelb, orange, goldrosa und kamelbraun leuchtet das karge Land im Abendlicht. Blendend hell schimmert der Sand von El Jable, der Dünenlandschaft bei Corralejo, dieser Sahara der Kanarischen Inseln. In Wirklichkeit hat das Naturwunder nichts mit der großen Wüste des nahen afrikanischen Kontinents gemein. Der Sand besteht aus den Resten von Korallen, Muscheln und den Panzern von allerlei Meeresgetier. Maritimes Material, das von der Urgewalt des Ozeans in winzige Partikel zermahlen und an Land geworfen wurde. Der Wind fegt die feinen Kristalle als silberweiße Schleier über die Küstenstraße. »Wenn die Kanaren glückliche Inseln
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genannt werden, so ist Fuerteventura die glücklichste von allen«, notierte Unamuno, als er seinen Frieden mit der Insel gemacht hatte.
Man muss sich also bei der Ankunft mit Unamunos Versprechungen wappnen, sobald die Maschine ausrollt. So lässt sich alles Hässliche und Banale rund um den Flughafen und Puerto del Rosario ertragen. Spätestens wenn die Sonne sinkt und mit letzten schrägen Strahlen die kargen Berge glühen lässt, ist man versöhnt mit dem einstigen Verbannungsort, verzaubert von der absurden Schönheit dieser Wüste in Schminkfarben.
Am Morgen danach muss man ganz früh im grellen Türkis der Lagunen von El Cotillo baden, dann zum nahen Leuchtturm fahren, die kleinen Buchten der rauen Küste abwandern. Schwarze Basaltbrocken buckeln zwischen cremeweißem Sand unter gletscherblauem Wasser. Treibgut muss man sammeln, wie ein Kind, sich die Taschen damit vollstopfen und alles vergessen, was einen gestern noch aufrieb. Dann tritt der Fuerte-Effekt ein. »Welche Schule der Ruhe, welches Sanatorium, welcher Quell der Stille«, staunte schon Unamuno über das Ausmaß an beglückter Selbstzufriedenheit dieser asketischen Insel.
Irgendwann wird man sogar nach Puerto del Rosario fahren, dieses Kaff von einer Inselhauptstadt. Wenigstens dem Unamuno-Museum im einstigen Hotel Fuerteventura sollte man einen Besuch abstatten. Auf dem Schreibtisch liegt noch eine Postkarte an Freunde, mit schwungvollen Schriftzügen verfasst: »Niemals werde ich die hiesigen Tertullias
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vergessen!« Gemeint sind die anregenden Gesprächskreise, die Unamuno mit einheimischen Vertretern des aufgeklärten Bürgertums unterhielt. Nur acht Tage später, am 9. Juli 1924 setzt sich der Verbannte mit Hilfe von Freunden von der Insel ab und geht nach Paris ins Exil. Die Freiheit zählte am Ende doch mehr als der Kuss der Morgensonne. Wie sehr sich die Wüsteninsel in sein Herz gebrannt hatte, merkte Unamuno erst aus der Distanz. »De Fuerteventura à Paris« heißt das literarische Protokoll seiner Zuneigung.
»Für mich war Fuerteventura eine einzige Oase, eine Oase, in der mein Geist vom lebendigen Wasser trank und die ich erfrischt und gekräftigt verließ, um meine Reise durch die Wüste der Zivilisation fortzusetzen.«
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Grillenzirpen im Beton
An der Playa de las Américas im Süden Teneriffas
Conchita ist sieben und sitzt hoch zu Ross. Sie schaut nach Westen, wo der Himmel verglüht, und schiebt den Kaugummi von einer Backe in die andere. Sie hat Zeit. Vor Mitternacht kommt sie hier sowieso nicht weg. Ihr Pferd ist mitten im Sprung erstarrt. Wenn eines der Urlauberkinder mit einer Münze in der Hand kommt, steigt sie ab und lehnt neben dem Eingang der Spielhölle, die ihren Eltern gehört. Drinnen rasseln einarmige Banditen, virtuelle Rennwagen kreischen und ein Raumfahrzeug schlingert heulend über imaginären Mondkratern. Manchmal, wenn eines der Touristenkinder die Lust am metallischen Wiehern und den bockigen Bewegungen des Plastikgauls verliert, reitet Conchita die Etappe zu Ende. Wichtig ist nur, dass sie vor der Tür bleibt, falls eine Polizeikontrolle kommt.
Wir hatten keine Illusionen bezüglich Teneriffas Süden. Wir wollten schlicht dem trüben Wetter entfliehen und unserer dreijährigen Tochter zuliebe an sicheren und sonnigen Stränden urlauben. Es
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