Lesereise Mallorca
Hamburg – alles Stationen eines Jahres.
Von Galerie zu Galerie kann man sich durchfragen zu den Häusern der Kunstschaffenden, kann Atelierbesuche vereinbaren, Maler und Bildhauer kennenlernen. Ein paar Hundert Künstler leben und arbeiten auf Mallorca, manche Schätzungen sprechen von bis zu dreitausend – die nebenberuflichen mitgerechnet. Einheimische wie Joan March zählen dazu, der auf dem Bauernhof seiner Eltern bei Pollença malt und dessen mystische Werke für ein paar tausend Euro den Besitzer wechseln. Zugereiste sind unter ihnen wie der dänische Künstler Anders Nyborg, der die Winter hier verbringt: »Miró hatte recht. Das Licht verzaubert. Die Atmosphäre inspiriert. Und zudem: In den Wintermonaten ist es schlicht zwei Stunden länger hell als zu Hause in Dänemark.«
Nyborg kommt seit zwei Jahrzehnten regelmäßig hierher und hat längst auch künstlerisch seine Spuren auf der Insel hinterlassen, am augenfälligsten in Cala d’Or. Auf einem Kreisverkehr am Eingang des Ferienorts erhebt sich neun Meter hoch seine Stahl- und Eisenskulptur »Aves de Paso«, »Zugvögel«, eine Anspielung auf die Touristenschwärme, die vom Sommer hierher gelockt werden.
Wenn laute Opernmusik aus den Fenstern des Atelierhauses bei S’Horta dringt, dann ist Anders Nyborg in einer anderen Welt. Dann malt er sich in einen Rausch aus Farben, aus Flächen und abstrakten Kompositionen. Dann entstehen in dem versteckt gelegenen Atelier großformatige Werke aus Acryl und Öl auf Leinwand.
Nyborg, Jahrgang 1934, braucht diese Opernmusik zur Inspiration, neuerdings immer häufiger alternativ auch Jazz, dazu schwarzen Tee in rauen Mengen, nie Alkohol bei der Arbeit – sehr wohl aber Wein am Abend, am liebsten vom eigenen Weinberg, den er auf Mallorca besitzt und als Hobby-Winzer hegt und pflegt. Und er braucht die Farben, das Licht und die Atmosphäre von Inseln: »Wasser und Meer haben immer eine ungeheure Faszination auf mich ausgeübt. Ich kann ohne Wasser nicht leben. Inseln sind meine Heimat. Und oft male ich an einem halben Dutzend Bildern zugleich«, erzählt Nyborg. »Ich habe Leinwände im Atelier nebeneinander stehen, und während eine Farbschicht trocknet, arbeite ich in der Zwischenzeit schon wieder am nächsten Bild. Manches ist nach einer Woche abgeschlossen, manches nach zwei Monaten noch nicht. Zum Beenden eines Bildes brauchst du totale Inspiration – und diesen Punkt erreichst du vielleicht einmal in der Woche.«
Nyborgs Nachbar war Jørn Utzon, der Architekt der Oper von Sydney, der mit seiner Frau zurückgezogen bei S’Horta gelebt und genossen hat, dass ihn auf der Insel kaum jemand kannte oder gar über die verschlungenen Pfade durch Mandelbaumreihen und Weinreben zu seinem Alterssitz fand. Utzons mallorquinische Zeichnungen wurden in einer kleinen Galerie in Manacor ausgestellt: dort, wohin fast nur Einheimische den Weg finden und kaum einer Deutsch versteht.
Die gewisse Leichtigkeit dieser Insel ist in der Kunst allenthalben spürbar. Kraftvolle, fröhliche Werke entstehen hier. Für düstere Traurigkeit ist kein Platz. »Ich könnte woanders nicht leben, nicht arbeiten«, schwärmt zum Beispiel Riera Ferrari. »Ich würde diesen Sonnenaufgang vermissen. Und unsere Steilküste! Die Felsen hier sind Anfang und Ende der Zeiten, sind spannender als Strände oder Wiesen. Die wären mir zu kurzlebig.«
Mallorca ist zudem kunstsinnig. Junge Maler haben hier alle Chancen für einen guten Start, bekommen Ausstellungen in Bars oder Restaurants, in einer der zahllosen Galerien in Palma wie in den Dörfern, wo niemand damit rechnen würde. »Sammler können hier heute leichter Entdeckungen machen als in den Kunstmetropolen Paris oder New York«, erzählt Galerist Toni Marquet aus Pollença, der selber Maler ist: »Weil alles überschaubarer ist – die Szene, der Galeriemarkt. Sie müssen nicht von New York nach Los Angeles fliegen, um ihren Eindruck eines Künstlers oder eine Stilrichtung in einer zweiten Galerie abzurunden. Sie nehmen einfach den Leihwagen und fahren von Palma nach Manacor oder hier in den Inselnorden.«
Auch Mäzenatentum ist ausgeprägt vorhanden. Die Bankiersfamilie March etwa unterhält einen großen Skulpturengarten – zugänglich allerdings nur nach Voranmeldung im Rahmen organisierter Führungen. Darüber hinaus veranstaltet und fördert der Clan regelmäßig Ausstellungen in den Bankfilialen – Starthilfe für junge Künstler wie für den expressiven Bildhauer Rafel Sunyer
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