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Lesereise Mallorca

Lesereise Mallorca

Titel: Lesereise Mallorca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Sobik
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müssen über Rolltreppen, durch Schiebetüren. Über noch mehr Korridore. Sie passieren Reihen von Gepäckbändern, wartende Menschenmassen, die Schalter der Autoverleiher, müssen wieder durch Türen, nochmal über blank gewienerten Fußboden und dürfen endlich ins Freie: angekommen auf Mallorca.
    Für manche wird es der längste Spaziergang ihres Urlaubs bleiben. Hundertfünfzig Meter sind es nun noch bis zum Parkhaus mit dem Mietauto. Oder achtzig Meter bis zum Reisebus, dreißig bis zum nächsten Taxi.
    Acht Kilometer ist der Großflughafen Son Sant Joan vom Zentrum Palmas entfernt, zwei Fahrtstunden können es von hier aus bis zum entferntesten Zipfel der Insel werden – je nach Weg, ganz nach Art und Lage des Zieles. Und nach Jahreszeit, nach Verkehrsaufkommen. So groß Mallorca mit den dreitausendsechshundert Quadratkilometern Fläche ist – immerhin entspricht das der Größe des Saarlands oder mehr als dem Achteinhalbfachen der Stadtfläche Wiens, dem Vierzigfachen Zürichs – und so sehr sich alles verteilt und verläuft, so nah führt der Inselflughafen Son Sant Joan doch alle für die erste halbe Stunde nach der Landung und für die letzte Stunde vor Abflug zusammen: Die unterschiedlichsten Menschen, Geschichten, Sehnsüchte. Diejenigen, die wegen der Ruhe kommen. Und diejenigen, die Krach machen und feiern möchten. Auf 250.733 Quadratmetern Terminalfläche mit vierundsiebzig sogenannten Fluggastbrücken, achtundachtzig Parkpositionen, fast zweihunderttausend Flugbewegungen im Jahr.
    Im Flieger haben sie zusammengesessen, weil der Zufall es so gewollt hat. Am Gepäckband haben sie nacheinander und Seite an Seite die Arme nach ihren Habseligkeiten ausgestreckt, weil ihre Koffer keinerlei Berührungsprobleme hatten und dicht aneinandergedrängt unter den Plastiklamellen hervor ins Licht der riesigen Ankunftshalle gerumpelt kamen.
    Die Blicke der meisten Menschen am Airport gelten nur der fehlerfreien und möglichst zügigen Identifikation des eigenen Gepäcks mit allem mitgereisten Hab und Gut darin. Sie gelten dem Auffinden der nächstgelegen Toilette, dem richtigen Leihwagenschalter oder dem passenden Bus. Selbst das Partypublikum hat jetzt noch kein Auge fürs Sixpack.
    Kaum jemand hat hier Augen für jemand anderen. Die Leute konzentrieren sich aufs Ankommen, sind ganz damit beschäftigt, alles richtig zu machen und den kürzesten Weg nach draußen zu finden. Sie sind noch unentspannt und schauen dennoch schon irgendwie beseelt, weil die Luft, selbst die klimatisierte, anders riecht als zu Hause. Weil es wärmer ist, die Sonne scheint, das Licht diesen Zauber der Fremde ausstrahlt. Aber wirklich da, tatsächlich angekommen sind die meisten doch erst, wenn sie ihren Hotelzimmerschlüssel in der Hand halten oder die eigene Haustür aufgeschlossen haben. Dann, wenn die Koffer für die Dauer des Aufenthalts abgestellt sind und der Hinflug mit allem, was dazu gehört, der Vergangenheit angehört. Dann, wenn die Entspannung wirklich beginnt und fürs Erste keine Aufgaben mehr zu lösen sind.
    Als Zivilflughafen eröffnet wurde dieser Airport bereits 1960 – und seitdem immer wieder erweitert. Son Sant Joan, umgeben von Ackerland, Windrädern, niedrigen Stallungen und Wohngebäuden, hat den Massentourismus erst möglich gemacht. 1962 wurden hier zum ersten Mal mehr als eine Million Passagiere abgefertigt – eine gewaltige Zahl für die damalige Zeit. Und mehr noch für einen Inselflugplatz. Bereits 1965 war die Zwei-Millionen-Grenze überschritten. 1980 waren es sieben Millionen Menschen, sechs Jahre später zehn und 1995 schließlich mehr als fünfzehn Millionen.
    Knapp dreiundzwanzig Millionen Menschen sind es momentan im Jahr, die die Flure von Son Sant Juan durchlaufen. Etliche davon sind Umsteiger, die bloß von Gate zu Gate springen und gar nicht vorhaben, einen Schritt auf mallorquinischen Boden zu setzen. Von den anderen kommen die allermeisten ihres Urlaubes wegen. Von einem bis zu fünf Sternen erwartet sie alles, vom preiswerten Bett im hostal bis hin zum eigenen Haus.
    Sobald sie den Flughafen verlassen, werden Wünsche und Wahrnehmung, Ansprüche und Erwartungen wieder völlig verschieden sein. Tatsächlich merkt man nur hier am Airport, wie vielfältig diese Insel sein muss angesichts der krass unterschiedlichen Zielgruppen, die sie anspricht. Nur hier laufen ihre Protagonisten nebeneinander her Richtung Ausgang, schlurfen Seite an Seite über den spiegelblanken Fußboden. Vom Kind bis

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