Lesereise Mallorca
Forteza.
Llorenç Ginard unterdessen zählt zu den wenigen, denen das Licht auf Mallorca vollständig egal ist. Für ihn ist die Insel schlicht seine Heimat, und nur das ist der Grund, weshalb er gerade hier arbeitet. Wenn Besuch an der Ateliertür in der Altstadt von Manacor klopft, ruft er aus der Dachluke »Moment!« und muss erst mal wie ein tagblinder Maulwurf ins Licht blinzeln und die völlig zugestaubte Hornbrille putzen.
Ginard arbeitet mit diesem Grauschleier vor Augen in einer düsteren und scheinbar seit Generationen nicht mehr aufgeräumten Kammer. Hier formt er expressive Skulpturen menschlicher Torsi. Licht fällt fast keines in den Raum hinein, und die Umgebung bedeutet ihm nichts: »Ich lebe für die Kunst, nicht für die Ordnung«, erklärt er augenzwinkernd. Andere honorieren diese Passion offenbar, denn seine Arbeiten sind verkauft, noch ehe er sie begonnen hat. Ruhm ist ihm dennoch egal, Showeffekte sind ihm fremd, und über spontane Besucher freut er sich. Auch das ist typisch für Mallorca: Kunst ist nicht als elitäre Minderheitenveranstaltung organisiert, sondern Alltag.
Zapatero mit Rajoy
Bei den letzten Schuhmachern von Inca
Er guckt ein bisschen traurig hinter seiner Brille hervor, wie er da im dunkelblauen Kittel neben einer uralten Nähmaschine mit gusseisernem Gestell steht und die Schultern hängen lässt. Nebenan rattert langsam ein kaum jüngeres Förderband. Es riecht nach Leder, nach Klebstoff, auch nach dem Gummi der Sohlen: »Leider«, sagt Pere Comas Bestard, »werden unsere Schuhe nicht oft nachbestellt. Sie halten zu lange.« Jetzt blitzt der Schalk in seinen Augen. Denn so sehr die Qualität zum Absatzhemmnis werden kann, so stolz ist er darauf.
Seine kleine Schuhfabrik in einer Wohnstraße im Zentrum von Lloseta bei Inca, einst das Herz der florierenden Schuhindustrie Mallorcas, beliefert seit der Gründung im Jahr 1940 Einzelhändler in ganz Spanien und in Portugal: »Aber deren Kunden brauchen leider auch keine neuen Schuhe, sofern sie mal ein Paar von unseren dort erstanden haben. Weil unsere eigentlich nie kaputtgehen.« Er scheint die alte Nähmaschine umarmen zu wollen und greift dann doch nach einem Paar hellbrauner Glattledersegelschuhe, die gerade auf dem Band angefahren kommen. Allein die hat er in den Größen vierunddreißig bis achtundvierzig und in neun Farben, einen kaum variierten anderen Schuh in drei Farbkombinationen im Sortiment. Jetzt lächelt er seine Tochter Xesca an, die Ende zwanzig ist, eigentlich als Grafikdesignerin arbeitet und vor vier Jahren halbtags in die Firma mit eingestiegen ist: »Um sie eines Tages zu übernehmen«, sagt der stolze Papa.
Nur noch vier Schuhfabriken gibt es auf Mallorca. Vor einem halben Jahrhundert waren es fast fünfzig, vor zehn Jahren noch gut ein Dutzend. Manche haben die Zeiten gar nicht überdauert, andere noch immer ihren Firmensitz auf der Insel, betreiben dort sogar vermeintlichen Werkverkauf – aber tatsächlich gefertigt wird fast alles im Ausland, vor allem in China, wo die Arbeit längst viel günstiger verrichtet wird.
In besten Zeiten lebten Tausende Familien gerade in der Inselmitte Mallorcas über Generationen von den Schuhfabriken. Was hier genäht wurde, was hier vom Band lief, das war ein Exportartikel.
Die Fabrik Calçats Comes S.L. hat noch im Jahr 2007 über dreizehntausend Paar Schuhe aus eigener Fertigung verkauft. In der Wirtschaftskrise rächte sich die Beschränkung des Vertriebs auf die besonders hart betroffene iberische Halbinsel, und 2010 waren es nur noch siebentausend Paar – die Hälfte dessen, was vor zehn Jahren mit Etiketten der Hausmarken Cabrit oder Apache ausgeliefert wurde.
Auch deshalb ist Xesca jetzt mit dabei. Sie soll den Look ein wenig modernisieren, die Marken ein bisschen trendiger aufstellen, witzige Farbkombinationen aus Sohlen und Oberleder erdenken. »Mein Vater«, sagt sie, »hängt sehr an den bisherigen Modellen, die teils schon von meinem Opa stammen. Das ist nicht verkehrt, denn er hat die Erfahrung. Er weiß, was läuft. Aber es kann auch nicht ausschließlich so bleiben.«
Insofern geht es nicht um die Neuerfindung des Schuhs an sich, sondern darum, an ein paar Stellschrauben zu drehen, ein paar Details zu verändern. Und es wiederholt sich, was sich einst zwischen Vater und Großvater abspielte, als der das Familienunternehmen im Wettbewerb mit all den anderen mallorquinischen Schuhfabriken und zusätzlich mit denen von außerhalb neu aufstellen und
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