Lesereise Mallorca
zum Rentner, vom Schnäppchenurlauber bis zum steinreichen Finca -Besitzer, vom spätpubertierenden Zwanzigjährigen mit Schnapsflasche in der Hand bis zum sportlich-legeren Ehepaar mit Kulturreiseführer im Handgepäck.
Sie alle erreicht diese Insel – auch, weil sich ihre Wege nur hier am Flughafen kreuzen. Ansonsten sehen sie einander nicht, haben keine anderen Gemeinsamkeiten, keine Berührungspunkte. Die einen werden niemals in der Party-Kneipe Oberbayern, nie und nimmer in der Schinkenstraße von El Arenal anzutreffen sein, die anderen nicht an den stillen Badebuchten östlich von Colonia de Sant Jordi aufkreuzen, die nur zu Fuß zu erreichen sind, nie einen Schritt in eine Olivenplantage setzen – oder in eines der Villengebiete von Andratx.
Der Vorgängerflughafen Son Bonet nur vier Kilometer von Palma, offiziell eröffnet bereits 1920, hätte sich an diesen Besuchermassen überhoben. Nie und nimmer hätten sie dort abgefertigt werden können. Es gibt nur eine Bahn, sie ist nur einen knappen Kilometer lang. Im Vergleich ist dieser Platz ein niedliches Relikt aus ferner Vergangenheit. Wo einst die ersten Flugtouristen der Insel abgefertigt wurden, starten und landen heute nur noch kleine Privatmaschinen, Hubschrauber – und die Löschflugzeuge, die bei Waldbränden eingesetzt werden.
Schon Ende der fünfziger Jahre hatte sich der stadtnahe Airport als nicht mehr erweiterbar erwiesen – ein Argument, das die staatlichen Stellen selbst während der Franco-Herrschaft davon überzeugte, den weiter außerhalb gelegen und bis dahin militärisch genutzten zweiten Airport Son Sant Joan herzugeben und zum zivilen Drehkreuz zu machen.
2015 soll er durch Um- und Anbauten in der Lage sein, bis zu achtunddreißig Millionen Passagiere pro Jahr abzufertigen. Nach der letzten Erweiterung waren es zweiunddreißig Millionen, wobei der Airport regelmäßig während der Hauptferienzeit im Sommer am Rande seiner Kapazität arbeitet und nur während des Winterhalbjahrs noch Raum bietet.
Immer war die Insel gewissen Popularitätsschwankungen unterworfen, musste sich Klischees und sogar Schimpfworte gefallen lassen. Eines hat sie längst abgestreift: das der »Putzfraueninsel«, das ihr übelmeinend angehängt worden war. Dabei gibt es die Putzfrauen wirklich, sie kommen noch immer hierher. Und sie sind gern gesehen, hochwillkommen sogar – erst recht, seit auch all die anderen kommen. Die Arbeitgeber der Putzfrauen zum Beispiel. Es muss irgendwann Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre gewesen sein, dass Mallorcas Tourismusstrategen gezielt den Weg weg von der Billiginsel eingeschlagen haben – hin zum Ziel für alle und besonders gerne für die, die möglichst viel Geld in die Inselökonomie investieren. Der Bauboom brach aus, Villen entstanden, Finca -Ruinen wurden zu prachtvollen Landhäusern zurechtrenoviert.
Alles, was hochpreisig ist, funktioniert hier bis heute besser als anderswo. Die meisten Luxushotels rechnen sich, die Golfplätze, teure Restaurants und edle Boutiquen fern der finanziellen Möglichkeiten einer Putzfrau. Der Airport ist dabei für die Momente der Ankunft und der Abreise der Schmelztiegel, der all jene Menschen zusammenbringt, die ein Ziel, vielleicht eine Sehnsucht gemeinsam haben: Mallorca. Abstand vom Alltag wollen sie hier finden, es unbeschwert haben.
Heute will man auf der Insel über das Billigsegment nicht mehr gerne reden, es am liebsten unsichtbar machen, Ballermann-Schlagzeilen vermeiden – aber diese Urlauber trotzdem nicht missen. Denn auch sie sorgen für Auslastung: der Hotels, der Gaststätten, der Flieger. Und des Flughafens. Es würde zu still werden in den Korridoren von Son Sant Joan, an den Gepäckbändern, im Duty-free-Shop ohne den Billigtouristen, den sparsamen Urlauber, den Partygänger aus dem Oberbayern, der im Zwei-Sterne-Hotel absteigt. Es wäre schlecht, wenn er sich hier nicht mehr gemocht fühlte. Er gehört dazu. Und eigentlich fällt er meistens gar nicht so sehr auf.
Und würde es nicht nach wie vor so viele davon geben, wäre das Netz der Flugverbindungen deutlich dünner. Das wiederum wäre schlecht für die Inselökonomie. Denn dann wäre die Anreise für die Reicheren komplizierter. Womöglich hätten sie ihre finca woanders, würden ihr Geld mit beiden Händen an einem besser erreichbaren Ferienziel ausgeben. Die Flughafenstatistik liest sich deshalb wie der Geschäftsbericht der Insel. Viele Starts und Landungen, dichte Flugpläne, neue
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