Lesereise Mallorca
Tischchen im Freien Sonne tanken. Wie bei euch im April!« Und er hat doch ein bisschen übertrieben. Als ob er es zugeben wollte, zupft er ganz nebenbei den dunklen Winterpulli zurecht.
Gleichwohl, die Temperaturen hier bewegen sich im Monatsschnitt nie unter vierzehn und steigen an schönen Tagen mitten im kalendarischen Winter schon über die Zwanzig-Grad-Marke – und an schlechten können sie auf fünf Grad fallen. So oder so ist die Sonne für Pedro Amengual etwas Besonderes. Denn vom Tresen seines engen, schlauchförmigen Ladens aus sieht er sie nicht. Hunderte Würste verhängen den Blick, dazu ein paar dicke Schinken.
Palma de Mallorcas Karriere als Ziel für den Städtekurzurlaub steckt noch in ihren Anfängen – als Shoppingziel gerade vor Weihnachten ist die Inselmetropole umso mehr ein Geheimtipp. Dabei gilt Palma, gut vierhunderttausend Einwohner stark, als die reichste Stadt Spaniens mit entsprechender Kaufkraft – Krise hin oder her.
Das sorgt für Weltstadtauswahl und hat längst auch internationale Edelmarken angelockt, die ihre Boutiquen vor allem entlang der Avinguda Jaume III., der Plaça del Rei Joan Carles I. und des Passeig des Born in der Innenstadt eröffnet haben. Die Palette reicht von Loewe bis Prada, von Massimo Dutti bis Armani. Und nebenbei gibt es ein paar Straßen weiter noch die Boutiquen der gefeierten mallorquinischen Modedesigner Tolo Crespí und Xisco Caimari.
Eine Firma leistet sich sogar einen bulligen Aufpasser mit Schirmmütze und dunkler Uniform neben dem Portal. Weniger weil etwas geschehen könnte – eher weil es hübsch fürs Image ist und die Preiszettelchen an den Geschmeiden hinter der Ladentür auf Anhieb glaubwürdiger wirken lässt. Wachmann Jorge muss stets mit Blicken prüfen, wen er zu den teuersten Klunkern vorlässt und wen er beim Herausgehen aus der Cartier-Filiale sicherheitshalber nochmal kurz stoppen sollte. In der Vorweihnachtszeit ist ein bisschen mehr los als sonst beim Edeljuwelier, doch auch im Sommer läuft das Geschäft nicht schlecht. »Vor Weihnachten wird mehr eingewickelt«, hat Jorge beobachtet. »Alles Geschenke für die Feiertage. Im Sommer wird gemeinsam ausgesucht – und der neue Ring oder die edle Kette gleich angelegt.«
Direkt gegenüber betreibt einer der erfolgreichsten Einzelhändler Palmas sein Geschäft. Miquel Solivellas verkauft dort Eiskugeln – im Winter so viele wie im Sommer: »Weil es viele warme Wintertage gibt. Und weil viele Einheimische das Eis in Styropor verpacken lassen und als originelle Beilage zu großen Advents- oder Weihnachtsmenüs mit nach Hause nehmen – mit Vorliebe die Geschmacksrichtungen Gamba, Avocado und Roquefort, die im Sommer schlecht laufen. Die passen sehr gut zu Salaten«, erzählt er. Zweiundneunzig verschiedene Sorten hat Miquel Solivellas in seiner Eisdiele Ca’n Miquel im Sortiment, darunter allein vierundzwanzig verschiedene Schokoladenvarianten. Welche er selber am liebsten mag? Zu Weihnachten und auch sonst? »Jamaica-Schokolade«, antwortet er sofort. »Und Gamba.« Und welche der Wachmann drüben von Cartier in der Pause am liebsten holt? »Der mag Erdbeer, die Kugel mit Waffel für einen Euro sechzig«. Er grinst und winkt hinüber zur anderen Straßenseite.
Die vielen Würste, dazu die mit Tannenzweigen, Weihnachtsmännern und Leuchtgirlanden in den Schaufenstern geschmückten Läden und die Lichtsterne über den Einkaufsstraßen der Innenstadt sind sicheres Indiz dafür, dass das Fest nicht mehr fern ist.
Rund hunderttausend Lämpchen umfasst zudem die Llums-de-Nadal-Beleuchtung, die jedes Jahr Mitte November in den Innenstadtstraßen Palmas montiert und kurz vorm ersten Advent angeknipst wird, wenn es trotz Sonne und frühlingshafter Temperaturen plötzlich nach gebrannten Mandeln, Zuckerwatte und gerösteten Esskastanien riecht. Die Stadt bleibt bis zum 6. Januar ins weihnachtliche Lichtermeer getaucht, denn traditionell gibt es die Geschenke in Spanien erst am Tag der Heiligen Drei Könige – auch die Glasbläserarbeiten, handgeschnitztes Kinderspielzeug und Töpferwaren, die über die Tresen der Kunsthandwerker-Holzbuden auf dem großen Plaça-Mayor-Weihnachtsmarkt hinweg unter hoch über dem Platz aufgehängten Leuchtkugeln und Glitzersternen verkauft werden.
Die rechteckigen Hütten haben Sträflinge im Rahmen eines Gefängnisprojekts für die Stadt gebaut. Nur scheinen die reumütigen bösen Buben bei der Konstruktion die Zunftgenossen von einst nicht ganz aus dem
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