Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

Titel: Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Picus-Verlag
Vom Netzwerk:
Hausfrauen, die ihre langen Haare hochgesteckt trugen wie normale Menschen. Es war eine andere Zeit, Paris und Provinz in vielem noch Lichtjahre voneinander entfernt.
    Seit jenen frühen Tagen hat sich auch in der Normandie vieles verändert. Aber nicht so viel, dass Prousts Sommeridylle unter der Wucht der Zeit begraben worden wäre. Zwar ist heute auch kurzhaarigen Frauen der Zutritt ins Casino gestattet. Doch das mit viertausend Einwohnern noch immer kleine Städtchen bietet mit Boutiquen, in denen ortstypische Urlaubsmode mit weißen und dunkelblauen Streifen verkauft wird, mit hübschen Restaurants und Blumenrabatten auch heute das Bild einer äußerst gepflegten Ferienidylle. Und noch immer ist es angelegt wie ein Amphitheater, in dem alle Wege auf das Herz des Geschehens zulaufen: Casino und Grand Hôtel.
    Prousts Lieblingshotel selbst wurde 2011 komplett renoviert und kann sich seither wieder ähnlichen Glanzes rühmen wie das Haus, das den Schriftsteller seinerzeit durch seinen Komfort beeindruckt hatte. Die Aussicht ist unverändert. Gleich vor dem Haus verläuft die zwei Kilometer lange Promenade, die heute nach Marcel Proust benannt ist. Bei Ebbe vergrößert sich der Strand dahinter aufgrund der extremen Gezeitenunterschiede ins annähernd Unendliche. Das Meer ist dann kaum mehr zu erkennen.
    Das Zimmer, in dem einer der bedeutendsten Autoren der französischen Literaturgeschichte sieben Sommer lang schrieb und schlief, ist als Nummer 414 des Grand Hôtel bis heute buchbar und in der Nebensaison mit einem Preis ab zweihundertfünfundzwanzig Euro sogar einigermaßen bezahlbar. Das Bett stammt zwar aus dem frühen 20. Jahrhundert, jedoch nicht aus dem ursprünglichen Zimmer und ist somit auch nicht die Schlafstätte des Schriftstellers. Dennoch lässt sich hier auf den Spuren des Dichters schlafen. Das Bett ist nämlich fest verschraubt, sodass der Gast wie ehedem Proust das sich im Glas des Schranks spiegelnde Meer sehen kann. Der kleine Schreibtisch ist ebenfalls ein Stück aus der Epoche, wenn auch nicht jener, an dem Proust um Worte rang. Im Bücherschrank stehen die Werke unsterblicher französischer Schriftsteller: Stendhal, Honoré de Balzac und – Marcel Proust.

Kaminfeuer und Stallgeruch
Nicht unter jedem Apfelbaum der Normandie weidet eine Kuh
    Der Boden scheint zu erzittern, so schwer trommeln die Hufe der beiden Percherons. Da möchte man nicht drunter geraten, aber auch nicht unbedingt eine Etage höher balancieren, so wie es Monsieur Dinard Junior gerade ohne erkennbare Zeichen des Schreckens vormacht: Mit den Füßen steht er auf den breiten Rücken der Kaltblutpferde, mit den Händen an verwirrend vielen Zügeln hält er sie auf Kurs, in den Knien federnd gleicht er ihren zügigen Trab aus.
    Rund fünfundzwanzigtausend Besucher schauen sich jedes Jahr die Show des Hofs »La Ferme du Cheval de Trait« in Juvigny-sous-Andaine in der Unteren Normandie an. Jean Dinard erwarb La Michaudière 1984. Nachdem er das Anwesen saniert hatte, dessen Gebäude sich nach vierzig Jahren Leerstand zum Teil in desolatem Zustand befanden, öffnete er es fünf Jahre darauf dem Publikum. Dreißig Percheron- und normannische sowie bretonische Cob-Pferde sind die Hauptakteure der Show. Zur »Ungarischen Post« tanzen die Schwergewichter, der Triumphmarsch aus »Aida« untermalt das Erscheinen einer Kutsche, vor der sieben normannische Kaltblüter herjagen. Jedes von ihnen wiegt zwischen achthundert und tausend Kilogramm. Im gestreckten Galopp lassen sie vermutlich noch das Porzellan in den Schränken des Haupthauses beben.
    Die Art und Weise, wie die Dinards ihren Tieren zu regelmäßiger Bewegung verhelfen, ist zwar auch in der pferdeverrückten Normandie, dem Hauptzuchtgebiet Frankreichs, nicht alltäglich; ihre Leidenschaft für die Pferde hingegen durchaus normal. Denn wer beim Gedanken an die Region nur an Gaumenfreuden von Austern bis Camembert denkt, die Kreideklippen von Étretat, Badeorte wie Deauville und Trouville oder die Fachwerk-Innenstadt Rouens vor sich sieht, liegt damit zwar richtig, aber er übersieht eine große Liebe der Normannen: Hier wettet jeder beim Pferderennen, und unter den Apfelbäumen grasen mancherorts mehr Pferde als Kühe.
    Höhepunkt im Jahreskalender der Pferdebesessenen ist das Rennen um den Grand Prix de Deauville, das alljährlich im August stattfindet (wiewohl auch der seit 1988 in Deauville ausgetragene Lancel Polo Cup ein Publikumsmagnet ist). Seit 1866 trifft man sich

Weitere Kostenlose Bücher