Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados
ein Herrenhaus aus weißem Kalkstein oder eines aus grauem Granit aus. Ein bisschen englisch sieht das alles aus, und die britische Insel liegt ja auch in naher Nachbarschaft. Die historischen Beziehungen zwischen den beiden Küsten sind von jener Enge, die Hasslieben begünstigt und die die Engländer bis heute als zahlenstärkste Besuchergruppe ans gegenüberliegende Ufer zieht. Schließlich brach William der Eroberer im Jahr 1066 von hier auf, um sich die Insel untertan zu machen – der Stoff, aus dem englische Albträume sind. Auch wenn die Liebe zum Reitsport irgendwie verbindet.
Den Besuchern aus England fordert auch das milde, etwas launische Klima keine große Umstellung ab. In der Normandie gibt es bekanntlich mehrmals täglich schönes Wetter, versichern Einheimische stolz. Fast wie gegenüber eben. Für die Zeiten zwischen den Sonnenfenstern, wenn der Wind schon mal Regenschauer und schwarze Wolken über die grüne Gartenlandschaft jagt, empfehlen sie zur inneren Erbauung ein Schlückchen Calvados, der dem Magen Wohlbefinden und dem Geist Feuer schenken soll. So lassen sich ideale Bedingungen für ausgedehnte Streifzüge durch die normannische Schlösserlandschaft herstellen.
Viele Schlösser und Herrenhäuser der Region öffnen zumindest ihre Gärten und Parkanlagen für Besucher. In einigen châteaux , die als Hotels geführt werden, lässt sich sogar stilvoll nächtigen. Viele Häuser sind noch in privater Hand; so etwa das Château d’O in Mortrée, das nichts mit der gleichnamigen Marquise zu tun hat, aber englischen Royals Quartier bietet, wenn die hier – natürlich – auf der Suche nach irgendwelchen Pferden sind. Vom 15. bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts erhielt das von einem breiten Graben umgebene spätgotische Schloss sein Gesicht, das keinem anderen in Frankreich gleicht. Mit seinen zierlichen Türmchen sieht dieses Wasserschloss tatsächlich aus wie ein Bild aus dem Märchenbuch. Zwölf Gemächer des Château d’O werden im Sommer gelegentlich fürs Publikum geöffnet. Die Atmosphäre gewinnt ihren Reiz durch die Lebendigkeit eines bewohnten Hauses. Wenn die Hausherren viel Besuch haben, werden Gäste schon mal im alten Prunkschlafzimmer untergebracht, das zu den Räumlichkeiten gehört, die besichtigt werden können. So ist es dann auch schon zu einer ungeplanten Konfrontation von Touristen und ruhenden Hausgästen gekommen, als man vergessen hatte, den Führer von der Einquartierung zu unterrichten.
Das Château d’Acquigny, seit 1656 im Besitz der Familie d’Esneval, hat seine Wurzeln im 14. Jahrhundert. Zwar ist der Öffentlichkeit heute nur der Park des Schlosses zugänglich. Doch er bietet den beeindruckenden Anblick bis zu vierzig Meter hoher, jahrhundertealter Bäume. Über fünfhundert Pflanzenarten wachsen hier, und der älteste künstliche Wasserfall Frankreichs rauscht in einem Wäldchen. Wie es in den Gärten des Renaissanceschlösschens überhaupt überall murmelt und plätschert: ein Bach; ein gewundenes Flüsschen; Kaskaden von Wasser, die sich in einen See ergießen. Die Normannen, seit jeher ein Volk von Seefahrern und Entdeckern, brachten von ihren Fahrten neben der Liebe zum Wasser auch Pflanzen aus der ganzen Welt mit nach Hause. Dank des milden Seeklimas schlugen sie schnell Wurzeln. Vor dem Haus der d’Esnevals riecht es nach Kaminfeuer, allgegenwärtiger Duft in der herbstlichen Normandie. Durchs offene Fenster blickt man in die erhaltenen Prunkzimmer im Parterre.
Das Schloss, wie es heute aussieht, ließ 1557 Madame Anne de Laval erbauen, eine Cousine des französischen Königs Heinrich II . und Hofdame von Catharina de’ Medici (1519–1589). Ihr Mann Louis Sissy war verstorben, als sie ihr neues Heim zum Denkmal ihrer unsterblichen Liebe machen wollte. Die ineinander verschlungenen Initialen der beiden sind noch heute am und im Schloss zu finden. Rund hundert Jahre später kauften Vorfahren der d’Esnevals das Haus. Der neue Besitzer, Präsident des normannischen Parlaments in Rouen, ließ sofort die bereits geräumigen Stallungen weiter ausbauen. Offiziell, weil er dreimal in der Woche nach Rouen fahren musste und dafür ständig gut ausgeruhte Pferde brauchte. Ein weiterer Grund war aber vermutlich, dass er völlig pferdeverrückt war.
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