Lesereise Paris
nicht brennt?
Das Wort concierge , einst der Schlüsselbewahrer königlicher Paläste, kann männlich oder weiblich sein. In zwei Dritteln aller Fälle bedeutet es eine Frau, konkreter in sechzig Prozent der Pariser Fälle eine Portugiesin. Sie sitzt in ihrer fünfzehn bis dreißig Quadratmeter großen Wohnung neben der Haustür, hat meistens eine Familie, aber fast immer einen kleinen, wachsam bellenden Hund: An der concierge selber können zur Not Bettler, Hausierer, Einbrecher geduckt vorbeischleichen, am Hund nicht.
Der Platz der concierge heißt loge – zu Recht, denn wie von einem Logenplatz kann sie alles überschauen. Die Beschließerin kennt die Mieter sowie ihre Gewohnheiten und ihren sozialen Umgang. Sie kennt sogar die Post und weiß, wer gerichtliche Mahnschreiben und Rechnungen kriegt, denn der Briefträger liefert die Post bei ihr ab.
In der Literatur tauchte ein Conciergen -Ehepaar, Monsieur et Madame Pipelet, erstmals im Jahr 1840 auf. Eugène Sue ließ die beiden in die »Geheimnisse von Paris« eingehen. Für Theater und Kino waren die concierges eine unerschöpfliche Quelle von Späßen oder Intrigen. Kommissar Maigret ließ sich gern von Hausmeisterinnen informieren. Auch andere Autoren von Kriminalromanen nutzten sie als Zeugin – oder entlarvten sie manchmal als Mörderin.
Viel Geld verdient eine concierge nicht. Bis vor wenigen Jahrzehnten erhielt sie außer freier Wohnung, zu der die Mitbenutzung der Toilette im Treppenhaus und oft ein Dienstmädchenzimmer im obersten Stock gehörte, gar kein Geld. Gegenwärtig liegt der Tariflohn bei zehn Euro in der Stunde, doch das ist Theorie. Denn die meisten Logen müssen von acht bis zwölf und von fünfzehn bis zwanzig Uhr besetzt sein, und so viele Stunden werden nicht honoriert. Die Schnur, die man zog, wenn man spät am Abend eingelassen werden wollte, und die Glocke, die zu Häupten der schlafenden concierge schellte, sind abgeschafft.
Es gibt concierges , die nicht mehr so heißen wollen, sondern sich lieber gardien / gardienne oder régisseuse nennen lassen. Doch an der sozialen Realität ändert das nichts.
Kurz vor Weihnachten aber beginnen sogar die grimmigsten und misstrauischsten concierges , die ihre Mieter elf Monate im Jahr wie Kriminelle mustern, zu lächeln. Die gute Laune hält bis über Neujahr, denn in dieser gesegneten Zeit erwarten die concierges ihre etrenne , ihr Weihnachtsgeld. Es kann in großen Miethäusern umgerechnet mehrere tausend Euro erreichen. Fast jeder bezahlt, obwohl niemand dazu verpflichtet ist. Wichtige Briefe könnten verspätet eintreffen, Besucher den falschen Bescheid erhalten, der Mieter sei ausgegangen. Kaum etwas ist so teuer wie die Kränkung einer concierge .
Pardon, wo ist das letzte »bistrot«?
Eine Institution stirbt
Jetzt sind es nur noch vierzigtausend. Vor einem knappen halben Jahrhundert, als Frankreich zweiundvierzig Millionen Einwohner hatte, konnten diese in zweihunderttausend bistrots einkehren. Noch vor zwanzig Jahren wurde an achtzigtausend Theken der Kleine Schwarze oder das obligate Ballonglas Rotwein ausgeschenkt, gar nicht zu reden von der Belle Époque vor dem Ersten Weltkrieg, als den Franzosen sechshunderttausend dieser Kommunikationszentren zur Verfügung standen. »Ohne Zweifel die solideste Institution Frankreichs, von keiner Revolution zu erschüttern«, nannte Léon-Paul Fargue in seinem »Spaziergänger durch Paris« die Cafés. Nun zählt Frankreich achtundfünfzig Millionen Konsumenten, aber die bistrots gehören auf die Liste gefährdeter Arten. Täglich sperren zwei von ihnen zu, in schlechten Jahren dreitausend.
Ein richtiges bistrot hat auszusehen wie ein Szenenentwurf für einen französischen Schwarz-Weiß-Film mit Jean Gabin. Die Gäste, die am zinc diskutieren oder an Marmortischen sitzen, rauchen schwarze Gauloises und tragen Baskenmützen. An der Kasse kann man Tabak und Briefmarken kaufen, Strafmandate für falsches Parken zahlen oder früher sogar die Autosteuer, Metro-Billetts erwerben, Toto und Lotto spielen oder auf Pferde setzen, Botschaften und Schlüssel für Freunde hinterlegen. Im Keller wacht Madame Pipi über Toilette und das nur noch selten benutzte Telefon.
Aber Jean Gabin ist tot. Die Leute haben sich an Farbfernsehen gewöhnt und trinken dazu Bier aus dem Supermarkt. Blonde Zigaretten aus amerikanischem Tabak lösen die schwarzen ab. Die Bar heißt noch zinc , ist aber öfters aus Plastik als aus Metall. Für einen billigen Imbiss gibt es
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