Lesereise Paris
historisch doch etwas ganz anderes. Schäfer in den Pyrenäen scheinen den pfannkuchenartigen Wetterschutz im 15. Jahrhundert entwickelt zu haben. Den Rohstoff, Wolle, hatten sie im Überfluss. Zeit zum Stricken auch. Das Halbfabrikat wurde um das formgebende Hirtenknie modelliert und anschließend so lange in lauwarmem Seifenwasser geweicht und gewalkt, bis die Maschen sich zu einem festen Filz verbunden hatten. Basken wurden die besten – und schließlich namengebenden – Kunden.
Gäbe es nicht das Militär und das Ausland, es stünde noch schlechter um die wasserdichte Kopfbedeckung, die sich zusammenlegen und in die Tasche stecken lässt. Zu Zeiten, als Zivilisten noch bescheiden auftraten, trug der Soldat den prächtigen bunten Rock. Dem Bürger in Uniform wird dagegen ein sportlich-respektables Techniker-Image und mit ihm die Baskenmütze verpasst. Bei den französischen Alpenjägern, den Fallschirmtruppen, den Panzerfahrern ist sie fester Bestandteil der Montur. Die Streitkräfte kaufen zweihunderttausend Stück im Jahr. Bundeswehr und UNO -Truppen sind gleichfalls regelmäßige Abnehmer. Vor dem Golfkrieg bestellten auch die Iraker eine Million Mützen und trieben damit einen der Hersteller fast in die Pleite, denn die Ware konnte nie mehr geliefert werden.
»Will ich aussehen wie ein Statist in einem Film von René Clair? Lauf ich Reklame für einen Bal Musette?«, lauteten typische Antworten, die sich ein Reporter in der Pariser Metro bei jungen Leuten mit der Frage einhandelte, warum sie lieber Baseballkappen als Baskenmützen trügen. Natürlich gibt es längst keine Musette-Bälle mehr. Der Konsum von Landwein ist seit 1962 von hunderteinundzwanzig Liter auf fünfundvierzig Liter pro Kopf und Jahr gesunken, blonde Zigaretten sind in raschem Vormarsch, jede neunte Mahlzeit außer Haus wird in einem Schnellimbiss à l’américaine eingenommen, und der neue Bilderbuch-Franzose kauft alle sechzehn Monate Blue Jeans. Wenn schon Nostalgie oder Exotik, dann nicht Volksfront, Fahrrad und Baskenmütze, sondern Made in USA .
Doch es kommt noch schlimmer. Zwar geht jede dritte Pyrenäenmütze ins Ausland, aber vier von fünf der Baretts, die noch in Frankreich verkauft werden, sind Import aus China, Japan und Böhmen, billig, oft minderwertig, zum Glück von kurzer Lebensdauer. Die Asiaten beherrschen die Technik des Walkens nicht, heißt es in Oloron. »Ihr Tuch ist grob, zu weich, hat keinen schönen Körper«, zitiert Le Monde den Besitzer des Familienbetriebs Beighau, der schon in dritter Generation den Edelfilz hervorbringt. Walkt man zu lange, wird das Gewebe lappig. Walkt man zu kurz, bleibt es rau und kräuselt. Eine Baskenmütze für Kenner muss sich glatt und gleichmäßig anfühlen wie die Bespannung eines Billardtischs.
Für jene bedrohte Kennerrasse ist der dunkle Deckel mehr als Sonnendach und Regenschirm. Je nachdem, wie man die Baskenmütze auf dem Kopf zurechtzieht, drückt man Gesprächsbereitschaft aus, Verschlossenheit, Selbstgefühl, Zugehörigkeit, Lebensfreude. Träger von Lodenhüten mit Gamsbart werden das verstehen.
Brüchig wie ein schlechter Zahn
Der Montmartre soll vor Spekulanten und ungestümen Stadtplanern geschützt werden
Als Berg ist der Montmartre so berühmt wie das Matterhorn oder der Mount Everest. Für Touristen ist er leichter zugänglich: Vier Millionen erreichen ihn jährlich mit der Metro oder den Pariser Omnibussen, sechs Millionen betreten die Basilika Sacré-Cœur. Wie viele zu Fuß oder mit dem eigenen Auto kommen, ist unbekannt. An guten Tagen, so sagen die Geschäftsleute, fahren zusätzlich tausend Touristenbusse auf die Butte ; an schlechten Tagen, so entgegnen die Einwohner, die über Lärm, zitternde Wände, Verkehrschaos und Abgase klagen.
Jetzt soll der Montmartre wenigstens vor Spekulanten oder gut gemeinten Projekten moderner Stadtentwicklung geschützt werden. Zwei andere Pariser Viertel, das Marais und das siebente arrondissement mit ihren Adelspalais, sind als erhaltenswert in ihrer Gesamtheit anerkannt – was den Einbruch von Beton und Sparkassenarchitektur auch nicht verhindern konnte. Für den Montmartre käme diese Klassifizierung nach Ansicht der Experten zu spät. Ein entsprechendes Verfahren, nach dem Gesetz von Kulturminister André Malraux 1970 für das siebente arrondissement in Gang gesetzt, wurde erst ein Vierteljahrhundert später abgeschlossen. Das Verfahren für das Marais, 1964 begonnen, läuft immer noch. Der Montmartre wird
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