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Lesereise Prag

Lesereise Prag

Titel: Lesereise Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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Bursch, der hat aber eine Übersicht.« Er sah ihn 1990 auf dem Hradschin wieder, im Stab des Wende-Präsidenten Václav Havel, bei dem Schwarzenberg Kanzleichef und Vondra außenpolitischer Berater wurde.
    Wie Vondra und Havel war Schwarzenberg auf seine Weise ebenfalls ein Dissident, zumal er im Schwarzenberg’schen Stammschloss bei Scheinfeld in Franken ja ein Archiv der Untergrundliteratur beherbergte und Bücher in die Tschechoslowakei schmuggeln half. Dissidenten liebt man heute in Tschechien nicht unbedingt, so wenig wie Emigranten, bekennende gläubige Katholiken oder altböhmische Adlige. Gleich vierfach also könnte Schwarzenberg Antipathien mobilisieren – jedoch gehört er inzwischen zu den beliebtesten Politikern im Land, bei Umfragen rangiert er seit geraumer Zeit auf den ersten Plätzen.
    Sind es seine eleganten Umgangsformen, sein herzhafter, schnoddrig-charmanter Ton, sein rastloser Aktivismus, seine starke Medienpräsenz? Zügig absolvierte er im Jahr 2007 Antrittsbesuche in aller Welt, aus Washington wurde danach ein Foto der selig lächelnden Amtskollegin Condoleezza Rice übermittelt, der Karl Johannes Nepomuk Fürst zu Schwarzenberg gerade über den angedeuteten Handkuss hinweg in die Augen schaute. Ähnlich war’s in Wien und Tel Aviv, wo damals ebenfalls die Außenämter in Frauenhand waren. Der Berliner Kollege Frank-Walter Steinmeier erhielt ein Fässchen Dunkelbier der Marke Černá hora, was »Schwarzer Berg« bedeutet. So erleben sich die Tschechen in Gestalt des Fürsten Schwarzenberg als weltläufig.
    Zum anderen kam wohl gut an, wie unzerknirscht der Minister im stetig weiter sich erhitzenden Konflikt mit Österreich um das Atomkraftwerk Temelín Tacheles redet. Als »magori« bezeichnete er jene österreichischen Atomkraftgegner, die regelmäßig die Grenzen blockieren. Der tschechische Begriff wurde mit Trottel, Spinner oder Narren übersetzt, der Urheber will ihn verstanden wissen als Ausdruck für Leute, die »stets denselben Unsinn wiederholen«. Er nahm kein Jota zurück, als vom Wiener Boulevard der Ruf erscholl, er möge seinen österreichischen Verdienstorden zurückgeben. Ausgerechnet Schwarzenberg, der doch seit Jahrzehnten in Österreich gelebt hat und schon vom Prager Präsidenten Klaus verdächtigt worden war, er werde deshalb gegenüber Österreich nicht nachhaltig genug die nationalen Interessen vertreten.
    »Na, schauen Sie,« sagte er dazu im Gespräch, während er an der in Gang gebrachten Pfeife zieht, »mein Beruf ist jetzt, Außenminister der Tschechischen Republik zu sein, ich habe deren Interessen zu vertreten. Das ändert nichts daran, dass ich Österreich wahnsinnig gern hab.« Und auch nichts daran, dass er sich auf seinem Schloss Murau in der Steiermark genauso zu Hause fühlt wie auf dem 1991 restituierten Schloss Orlík in Südböhmen, »aber das ist meine private Sache«. Österreichischer Staatsbürger war er ja nie, sondern tschechoslowakischer und Schweizer, aber er kennt das benachbarte Alpenland gut genug, um zu wissen, dass dort »Tschechen schlechtmachen« mittlerweile »zum Volkssport geworden« sei.
    Der Tanz um Temelín ist eine der härtesten Nüsse für die Diplomaten des Palais Czernin, während die früher dominante Deutschlandproblematik dank der Entkrampfungen des vergangenen Jahrzehnts jetzt viel weniger Arbeit macht. Auch hier setzt Schwarzenberg im Übrigen Akzente, indem er in Abkehr von amtlichen Gepflogenheiten nicht von der Aussiedlung oder dem Abschub der Sudetendeutschen spricht, sondern ungeschminkt von deren Vertreibung – und der Aufschrei bleibt aus. Indes ist diese Thematik in Prag weit im Hintergrund angesiedelt, spätestens die mittlerweile wieder aufgegebenen amerikanischen Pläne für ein Raketen-Radar im Brdy-Gebirge bei Pilsen und die Gipfeldramen um die Verfasstheit der Europäischen Union sowie den Lissabonner Vertrag haben die Perspektiven geweitet. Um es mit dem Prager Politologen Robert Schuster zu sagen: Hatte die tschechische Außenpolitik nach 1989 zunächst »nur den eigenen Tellerrand im Visier«, so sind inzwischen längst »neue Horizonte« ins Blickfeld gerückt.
    Das Verhältnis zu den Nachbarn bleibt natürlich wichtig, die spezielle Zusammenarbeit mit Polen, Ungarn und der Slowakei in der »Visegrád-4«- Gruppe hilft auch in der EU . Als Verpflichtung aus der eigenen Historie empfinden die Tschechen parteiübergreifend den nachdrücklichen Einsatz für die Menschenrechte und für Verfolgte aller

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