Lesereise Prag
seine Biografie unterhalten hat, der weiß, dass ihm bei aller Last der hektischen Verpflichtungen das hohe Staatsamt gleich aus mehreren Gründen viel bedeutet. Natürlich persönlich – wer kommt in Tschechien schon an die Regierung, obwohl er Dissident, Emigrant, katholisch und von Adel ist? Nur einer bisher. Ist es ihm also eine Genugtuung, Außenminister zu sein? Eine Pause entsteht im Gespräch. »Sicher«, sagt Schwarzenberg, saugt an der Pfeife und schweigt.
Überdies ist der Adlige, wie er im Gespräch betont, dazu erzogen worden, »zu dienen«. Einer richtigen Sache zum Beispiel oder der eigenen Nation. »Schauen Sie«, sagt er und macht einen weiteren Zug aus der Pfeife, »ich liebe dieses Land und hoffe, dass ich beitrage, es durch die Fährnisse unserer Zeit zu bringen.«
Drittens hat er natürlich auch die Dynastie im Auge, die illustre Galerie all der Schwarzenbergs, die in früheren Generationen schon hohe öffentliche Ämter innehatten und denen er sich jetzt als ein würdiger Nachfolger erweist. Einer, Friedrich Fürst zu Schwarzenberg, war Erzbischof von Prag und Kardinal, er lebte von 1809 bis 1885. Dessen Bruder, Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800–1852), war von 1848 bis 1852 der Ministerpräsident und Außenminister des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. und half diesem, die Revolution von 1848 niederzuwerfen. Ein dritter, Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg (1771–1820), ein direkter Vorfahr des Außenministers, war Diplomat und Feldmarschall. Er führte 1813–1815 den Oberbefehl über die verbündeten Armeen, die den Franzosenkaiser Napoleon besiegten, unter anderem bei der Völkerschlacht von Leipzig. Von ihm erzählt Karel Schwarzenberg gern die schöne Geschichte, wie dieser als früherer Botschafter in Petersburg den Eroberer Napoleon 1812 beim Beginn des Russlandfeldzugs vor dem russischen Winter warnte – vergebens. Der Franzose zog nach Moskau und hatte das Nachsehen, später traf er den Warner in Warschau wieder und sagte: »Vous aviez raison« (Sie hatten recht). Schwarzenberg verwahrt im Familienarchiv die Karten der Schlacht bei Austerlitz 1805, die Napoleon seinerzeit seinem Vorfahren geschenkt hatte.
In jüngerer Zeit ist kein anderer Schwarzenberg in Europa zu größeren Ehren und Bekanntheitsgraden gelangt, das besorgt jetzt er, Karl Johannes Nepomuk Josef Norbert Friedrich Antonius Wratislaw Mena, der zwölfte Fürst zu Schwarzenberg, Graf zu Sulz, gefürsteter Landgraf im Kleggau und Herzog zu Krummau, der sich in Tschechien ganz einfach Karel Schwarzenberg nennt. Er ist im dritten Jahr der Außenminister der Tschechischen Republik, aber das muss noch nicht das Ende sein. Im Februar 2013 endet die Amtszeit des Staatspräsidenten Václav Klaus, und als möglicher Kandidat des bürgerlichen Lagers für die Nachfolge ist nicht zufällig Schwarzenberg im Gespräch.
Er macht davon kein Aufhebens, das wäre schädlich, aber er verwahrt sich auch nicht. »Ich habe das Image, dass ich ein guter Staatschef wäre – warum soll ich das zerstören?«, sagt er mit dem ihm eigenen Humor. Und: »Ich bin nicht der Jüngste, aber furchtbar neugierig auf jede neue Aufgabe.« Man könnte auch sagen: Würde Schwarzenberg im Februar 2013 in gesundheitlich guter Verfassung zum nächsten Staatspräsidenten der Tschechischen Republik gewählt, er würde das Amt, auch wenn er dann schon fünfundsiebzig wäre, gewiss mit Kusshand annehmen. Einen leibhaftigen Staatspräsidenten nämlich gibt es in der Ahnenreihe noch nicht.
Wie die Bisamratten
Ein Wiedersehen an der Moldau nach fünfundsiebzig Jahren: die Prager deutschsprachige Literatur
Jaa, das berühmte Prager Deutsch! Seit dem Mittelalter blühte es auf einer Insel, umgeben vom Tschechischen, so blieb es von Verschleifungen benachbarter deutscher Mundarten verschont. Johannes Urzidil nannte es »unser oft genug gelästertes, zwar nicht akzent-, aber dialektfreies Prager Deutsch«. Andere erachteten das Idiom als Buch- und Papierdeutsch, dem die Lebendigkeit der Volkssprache fehle. Karl Kraus spottete von Wien aus über den Prager Typus, der »in schwelgerischen Adjektiven einbringt, was ihm die Natur an Hauptwörtern versagt hat«. Der Schlachtenlärm ist längst verklungen, das Prager Deutsch nur noch ein Schemen, es ging in den Schrecknissen des 20. Jahrhunderts unter. Was also hat man sich darunter heute vorzustellen? »Das ist schwer zu sagen«, sagt Kurt Krolop, emeritierter Germanistikprofessor der Karlsuniversität.
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