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Lesereise Prag

Lesereise Prag

Titel: Lesereise Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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Anzug eine Fliege, seine Ansprache hielt er ohne Manuskript, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
    Nichts Steifes und nichts Abgerücktes war an Karel Schwarzenberg, wiewohl der immerhin der tschechische Außenminister ist, obendrein ein altböhmischer Fürst. Dass er den Herrschaften, die für Verdienste um Tschechien in aller Welt die Auszeichnung »Gratias agit« erhielten, mit der Urkunde meist entgegeneilte, gab seiner charmanten Umgänglichkeit einen nachdrücklichen Drall. »Dank Ihnen allen für all Ihre Arbeit und Ihre Anstrengungen«, sagte er. Mit allen wechselte er ein paar Worte, den Damen küsste er, logo, die Hand.
    Man mag das nebensächlich finden, aber wenn der neue Spielraum der tschechischen Außenpolitik und die Stellung des Landes im veränderten Europa auszuloten sind, dann ist der Schwarzenberg’sche Stil durchaus ein Faktor von eigenem Wert. Und sei es nur als Kontrast zu gewissen Rauheiten, die sich andere Akteure erlauben. Jedenfalls macht sich in Prag ein wachsendes Selbstbewusstsein bemerkbar, dem das manieristische Palais Czernin droben auf dem Berg mit seinen kolossalen Säulen und Fluren reichlich Platz bietet.
    Die Staatsgründer wollten es so nach dem Ersten Weltkrieg, als sie den größten Palast nach dem Hradschin zum Außenministerium bestimmten. Weit reicht von hier der Blick über das benachbarte Loreto-Heiligtum auf die Burg, den Veitsdom und die Moldau, bis hin zu den Plattenbauten am Horizont. Der große Saal im Inneren hat außer Preisverleihungen und internationalen Konferenzen auch die Auflösung des Warschauer Paktes erlebt, am 1. Juli 1991. Ein Ereignis, an das man sich hier gerne erinnert.
    Doch nun, da die Marksteine der epochalen Umkehr passiert sind und auch der Beitritt zu NATO und EU schon in die historische Dimension abzurücken beginnen, ist Tschechien wie andere Länder des östlichen Mitteleuropa in eine Phase der Selbstvergewisserung eingetreten. Sie lässt mancherlei Besonderheiten erkennen und ist allein mit dem Schlagwort vom Euroskeptizismus nicht zu fassen. »Da wird vieles missverstanden«, sagt Schwarzenberg. Euroskeptiker gebe es »quer durch Europa sehr stark«.
    Auch in Tschechien natürlich, der stärkste sitzt gleich unterhalb des Palais Czernin in der Prager Burg und ist der Staatspräsident Václav Klaus. Er opponiert nicht nur gegen eine weitere EU -Integration, sondern wollte eigentlich auch den EU -näheren Karel Schwarzenberg verhindern, als dieser 2007 von den Grünen zum Chefdiplomaten einer konservativ-grünen Dreierkoalition nominiert wurde. Streitigkeiten um die Linie hat man indes nicht erlebt, jedenfalls nicht öffentlich. Václav Klaus drückte dem Chefdiplomaten später ostentativ seinen Respekt für die professionelle Amtsführung aus.
    Mit Andersdenkenden weiß Schwarzenberg flexibel umzugehen, er weiß, dass man in der Politik »ständig Kompromisse machen muss«, zumal in Koalitionsregierungen. Zum Beispiel mit einem Mann, der neben Schwarzenberg der profilierteste Außenpolitiker Tschechiens ist und der sowohl 2007 bis 2009 unter dem Premier Mirek Topolánek als auch jetzt, seit dem Sommer 2010, in einer neuen konservativen Dreierkoalition unter Petr Nečas mit in der Regierung sitzt. Es ist Alexandr Vondra, früher selber Außenminister und Vizepremier mit der Zuständigkeit für Europafragen, heute Verteidigungsminister. Vondra ist ein führender Mann der Demokratischen Bürgerpartei ( ODS ), zu der Schwarzenberg stets Abstand hielt.
    Die beiden reden gut übereinander. Sie kennen sich lange, sie sind befreundet, Schwarzenberg ist Taufpate von Vondras Sohn. Fragt man nach, dann kommt der Außenminister im Gespräch, während er aus der Jackentasche zwanglos eine Pfeife nestelt und sie putzt, auf die Zeit vor 1989 zu sprechen, vor der Wendemarke seines Lebens. Der Adlige, als Zehnjähriger 1948 mit den Eltern aus der Tschechoslowakei geflohen, lebte bis 1989 vorwiegend in Österreich und war seit 1984 Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte. Als solcher reiste er oft in die kommunistischen Länder, so zu einer Konferenz der polnischen Gewerkschaft »Solidarność« in Krakau, wo ihm ein junger Mann aus Prag »mit zerrissenen Jeans und im verschwitzten Leiberl« vorgestellt wurde. Alexandr Vondra war’s, Aktivist der oppositionellen Untergrundbewegung »Charta 77«, Mitte zwanzig. Man unterhielt sich in einem Auto, Schwarzenberg war »ungeheuer beeindruckt« und dachte: »Mein Gott, der

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