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Lesereise Prag

Lesereise Prag

Titel: Lesereise Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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epochalen Erfolg. Das Erlebnis wurde zu einem Kristallisationspunkt seines politischen Lebens, und er begann damit später seine Memoiren.
    Vor ein paar Jahren war Genscher mal wieder da, aber die Tafel an der Brüstung war entfernt worden, aus gutem Grund: Ein Team der Kölner Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft Filmpool drehte im Auftrag von RTL einen Spielfilm mit dem Titel »Prager Botschaft«. Man stellte die Ereignisse von damals, aufgeputzt mit einem fiktiven Liebes- und Stasi-Drama, an mehreren Orten in Prag und Umgebung nach, und in der Botschaft verlangte die Authentizität natürlich den Balkonzustand von 1989. Es wurden auch wieder große Zelte aufgeschlagen, vor ihnen drängten sich Komparsen in Jeans und Pullovern, und vielfach sah man auch wieder junge Männer und Frauen über den eisernen Gitterzaun klettern, der den Botschaftsgarten vom nahegelegenen Wäldchen trennt: Koffer rüber und hinterher.
    Es sind unter anderem diese Szenen, die aus den aufregenden Tagen der Wende in Europa in Erinnerung geblieben sind – in echt zu sehen auch in einem Dokumentarfilm, den die Botschaft seit Jahren ihren zahlreichen Besuchern vorführt, fast an jedem Werktag ist eine Gruppe zu Gast. Für die Gegenwärtigkeit des Gewesenen sorgt zudem ein Buch, das 1999 zum zehnten Jahrestag herauskam und aus der Sicht des damaligen Botschafters Hermann Huber und anderer Augenzeugen das Ereignis und seine Hintergründe schildert.
    Allein die Statistik des Militärattachés Adolf Brüggemann erdrückt: Rund einundzwanzigtausend Menschen, in drei Wellen angelandet, wurden damals mit fünfunddreißig Großraumzelten, fünftausendsiebenhundertneunundsechzig Schlafsäcken, dreitausend Betten und Matratzen sowie mit dreitausendsechshundert Wolldecken und zweitausend Trainingsanzügen versorgt. Indes standen nur zwölf Toiletten zur Verfügung. Regen und Überfüllung ruinierten bald den Park. Fäkalien, Müll und Essensreste zogen Ungeziefer an, und es stank. Nach einem Bericht des Deutschen Roten Kreuzes herrschte »ein katastrophaler hygienischer Zustand«, als am Tag nach Genschers Freudenbotschaft die ersten viertausend Menschen mit DDR -Bussen zum Bahnhof gefahren und von dort in mehreren Zügen durch die DDR in die Bundesrepublik gebracht wurden. Ein »infernalisches Chaos« diagnostizierte an jenem Morgen auch Botschafter Huber.
    Gewiss ein Stoff also für ein neunzigminütiges »Event-Movie« für RTL . Auf dem Botschaftsgelände wurde mit Rücksicht auf den laufenden Betrieb nur ein Teil des Geschehens gefilmt. Das Chaos reproduzierte man dann lieber auf einer Wiese beim Kloster Doksany weit außerhalb von Prag, und die Szenen im Gebäudeinneren des Palasts durften der Regisseur Lutz Konermann und sein achtzigköpfiges Team über ein Wochenende auf den noblen Gängen des tschechischen Kultusministeriums imitieren. Man füllte sie mit dreistöckigen Betten und einem Teil der insgesamt siebzehnhundert Komparsen. »Das matcht wunderbar«, sagte Produktionsleiter Wolfgang Bajorat im Slang der Filmer. Passt also.
    Hätte nur gefehlt, dass Hans-Dietrich Genscher wieder auf den Balkon getreten wäre und wieder seinen Satz gesagt hätte, aber der gab am Originalschauplatz nur ein ausgiebiges Interview. Genschers Rolle nahm der tschechische Schauspieler Jan Kostroun ein, immerhin spielte aber Ex-Kanzleramtsminister Rudolf Seiters, heute Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, sich selber. Und immerhin konnte im Park des Palais Lobkowicz jene riesige Bronzeskulptur von David Černý mit dem Titel »Quo Vadis«, die ein Auto der Marke Trabant auf vier menschlichen Beinen darstellt, stehen bleiben, obwohl die sich damals, am 30. September 1989, mit Sicherheit noch nicht dort befand. Sie störte nicht. Auch die Bronzetafel mit dem Satz ist inzwischen wieder angebracht.

Die grüne Fee ist wieder da
Prag ist ein Magnet für Menschen, die mal wieder Absinth trinken wollen
    Touristen mögen das mitunter: Zwei Damen und zwei Herren, in unerforschtem Verhältnis zueinander stehend, sitzen im Café Slavia. Drei von ihnen lächeln den Ober an, der um Verfertigung eines Gruppenfotos gebeten wurde, dieweil der Vierte offenkundig nach fremden Frauen ins Abseits schaut. Cappuccinobecher stehen auf dem Tisch, in zweien changiert das schaumgekrönte Gesöff verdächtig ins Grünliche, das ist wohl der Absinth. Die Herrschaften haben es zuvor nämlich köstlich goutiert, dass man in dieser Alt-Prager Kulturinstitution wie ehedem für ein paar

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