Lesereise Rom
in der Innenstadt, etwa an der viel besuchten Piazza Navona oder am Campo de’ Fiori, ebenso im Stadtteil Trastevere oder am Äsquilin, einem der sieben historischen Hügel von Rom. Sie finden sich außerdem in der Cloaca Maxima, jenem Abwasserkanal am Forum Romanum, der zu den ersten Bauwerken des alten Rom gehörte und nach zweieinhalb Jahrtausenden noch immer gute Dienste leistet.
Überhaupt sind die umgrünten Ruinen der Antike und die weitläufigen Parks, die im Barock und in der Renaissance um prachtvolle Adelssitze wie die Villa Borghese oder die Villa Ada entstanden, Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen, die anderswo längst nicht mehr im Herzen der Millionenstädte anzutreffen sind. Milzfarn, Knabenkraut und Kapernstrauch koexistieren bestens mit Säulentrümmern. Im Kolosseum nisten Falken, anderswo haben Schleiereulen, Dohlen und Kuckucke eine Heimat gefunden, und im Park der Villa Doria Pamphili jagt des Nachts, wenn endlich die Hunde und die Jogger verschwunden sind und wenn die Wächter auch die letzten Menschen ausgesperrt haben, der Fuchs.
Auf der Piazza Navona und auf der Piazza del Popolo wurden auch schon Schlangen gesichtet. Und selbst im Tiber, mag er noch so dreckig und vergiftet erscheinen, rührt sich Leben. Aale, Meeräschen, Karpfen und Schleien tummeln sich noch in seinen Wassern, Möwen, Reiher, Kormorane und Mehlschwalben säumen seine Ufer, wenn auch nicht unbedingt in der Innenstadt. Jedes Jahr in Herbst und Winter ziehen überdies bestimmte Stadtregionen wie der Bahnhof Termini oder das an den Vatikan grenzende Viertel Prati gewaltige Heerscharen durchreisender Stare an, die in wogenden, fließenden Formationen den Himmel verdunkeln und verzieren. In einigen Straßen lassen sie derart viel Kot ab, dass länger parkende Autos bis zur Unkenntlichkeit verdrecken und eingeätzte Lackschäden erleiden.
Dass Rom nicht nur den Reisenden aus aller Welt, sondern auch den Tieren ein lieber Ort ist, kann nicht verwundern, wo doch der Gründungsmythos der Stadt eine Wölfin in den Rang der Ahnherrin eingesetzt hat. Nicht weniger als hundertfünfundvierzig verschiedene Arten finden sich innerhalb des großen Autobahnrings, davon hundertundeine Vogelarten, wie 1997 das Städtische Amt für die Rechte der Tiere bilanzierte.
Ins Auge drängen sich vor allem die Katzen. In Kohortenstärke räkeln sie sich auf sonnenwarmen Tempelstufen; kein Hinterhof, in dem man sie nicht dösen sähe. Die Behörden schätzen ihre Zahl auf etwa dreihundertsiebzigtausend, von denen rund hundertsiebzigtausend außerhalb menschlicher Obhut in etwa vierhundertachtzig Kolonien in der Stadt im Freien leben.
Sie sollen sich nützlich machen. Aus Geldmangel hatte man 1994 amtlicherseits die Bekämpfung der Rattenplage mit giftigen Lockspeisen durch städtische Kammerjäger erheblich eingeschränkt. Auch dies ist ein Grund, warum sich die Tiere seither wieder beachtlich vermehrten. Sie sollen nun auf natürliche Weise in die Schranken gewiesen werden. In die befallenen Quartiere hat die Stadtverwaltung ein paar Kolonien streunender Katzen versetzt.
Samariter, die auch Diplomaten sind
Eine Bürgerinitiative all’ italiana: die Gemeinschaft von Sant’ Egidio
Einer hat unversehens die Gitarre hergeschafft, und Nello, der Philosoph, hat nun zu schweigen. Eine Viertelstunde lang hat er salbadert, hat skurrile Wortspiele von sich gegeben und, von seinem Klappsitz in die Runde grinsend, gesagt: »Die Liebe zu verstehen, ist sehr, sehr schwierig.« Luigia streicht ihm über die grauen Bartstacheln und lästert: »Mit dem Rasieren fängt es an.«
Nun greift einer in die Saiten, aus dem Feuerfässchen treibt der Qualm zu den Kartons und Matratzen hin, die um den Betonpfeiler der Hochstraße gestapelt sind, und Luigia singt. Ihre volle Stimme, ihre schwungvollen Drehungen und ihre herzhaften Witzworte verleihen ihr die Autorität von Personen, die in jeder Lage rasch zum Mittelpunkt jeglicher Gesellschaft werden, auch wenn sie so zwergenhaft klein sind wie Luigia. Auf dem Kopf trägt sie eine wilde Mütze, über den Schultern ein grelles Tuch, und vom Handgelenk baumelt ihr bonbonbunt ein Rosenkranz, als wäre es ihr Armband. Luigia singt das Lied von der schönen Römerin, und alle fallen ein in den Refrain, während hinter dem Betonpfeiler die Busse in die kalte Nacht fahren.
An den Dienstagabenden, an denen sie hier am römischen Bahnhof Tiburtina den Obdachlosen etwas zu essen bringen, landen sie am Ende
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