Lesereise Rom
des Soziologen Roberto Cipriani etwa bekannten sich 1997 nur rund zehn Prozent der Römer als praktizierende Gläubige, die sich fest an die Regeln des Papstes halten, als echte Anhänger der Kirchenlehre bezeichneten sich nur achtunddreißig Prozent. Etwa drei Viertel allerdings gehören formell der katholischen Kirche an, rund siebzig Prozent stehen dem Papst positiv gegenüber (und ebenso viele lesen regelmäßig Horoskope).
Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass der Papst für das Jahr 2000 in Rom eine große Missionsbewegung ausrief, die im Frühjahr 1997 mit der Verteilung von über einer Million Exemplare des Markus-Evangeliums an alle Haushalte der Stadt begann. Fünfzehntausend Missionare waren über drei Jahre immer wieder unterwegs. Ihr Ziel war es nicht so sehr, Moslems, Juden oder Lutheraner zum katholischen Glauben zu bekehren, sondern laue Katholiken wieder an die Kirche und den Papst zu binden.
Und Cristina holt den Schraubenzieher
Eine Powerfrau im Eissalon zwischen Grenadine-Gläsern, Familientradition und Komplimenten
Manchmal, wenn der Sommer so heiß ist wie in diesem Jahr, beginnt Cristinas Tag damit, dass sie den Schraubenzieher holt. Fabio schläft noch die Erschöpfungen der nächtlichen Vergnügungen aus, während seine Mutter sich in die Kühltheke beugt und die Schrauben der Abdeckung lockert. Verschlungene Kabel werden sichtbar, ein beunruhigendes Rattern dringt aus der Tiefe der Apparatur. »Da ist ein Lüftungsrad drin, das macht Lärm.« Vielleicht hat sich wieder Kondenswasser oder Eis am Motor gebildet, da wüsste eine Frau wie Cristina sich zu helfen. Aber diesmal muss es etwas anderes sein. Sie ruft Ercole, den Mechaniker, an, zapft sich einen kalten Tee und zieht ihre Schürze über.
Im Lokal liegt das träge Summen, das den Sommer auch bei vierunddreißig Grad Celsius erträglich macht, jener Brummton des Behagens, den in mannigfacher Abstufung die Eistheken und -schränke erzeugen. Tröstende Kühle verströmt im Raum. Ein Windstoß bauscht draußen vor der Tür, wo Cristinas schwere Suzuki GS 550 E steht, die gelbe Markise mit der Inschrift »Fassino« auf und bringt drinnen über der Rechenmaschine die drei silbernen Lampenschirme zum Schwanken, deren Aufsatz der Aufbewahrung von Kleingeld dient.
Alles ist in dieser Stunde vor Mittag, in der die Eisfrau die Bänke vor die Tür stellt und ihr Tagwerk beginnt, schon in jener gleichmäßigen Bewegung, die der Hitze ihre Beherrschbarkeit anzeigt. Am Schaufenster, gleich unter dem Ehrenplatz, den Cristina dem Foto ihrer starken Urgroßmutter Annunziata gegeben hat, rührt es mechanisch in kaltem Kaffee und in kaltem Tee. Und in der Mitte des langen Tresens drehen sich schlangenartig vier flache Spiralen in Plexiglasgefäßen, deren Rundungen mit feinen Tröpfchen beschlagen sind. Grenadine wird hier umgewälzt, nach Geschmäckern getrennt: Zitrone, Orange, Sauerkirsche und Tropical, knallgrün. Wer davon trinkt, dem wird kühl und süß.
Sommertag im Eissalon. Die drei Bauarbeiter sind wieder da für drei große Portionen, ein Lieferant bringt tiefgefrorene Himbeeren und feilscht um den Preis. Im Grenadine-Glas wird die Zeit umgeschichtet, und Cristina erzählt Geschichten aus dem privaten Leben, das so italienisch ist und gar nicht nur privat. Vierzig Jahre ist Cristina Vesco alt, Inhaberin einer gelateria in der Via Bergamo Nr. 24 in Rom, eine Frau, der ihre Unabhängigkeit so wichtig ist wie der Kontakt mit Menschen. »Ich muss mitten unter den Leuten sein«, sagt sie, »was mache ich sonst mit meiner Energie?«
Cristina Vesco verkörpert einen Typus jüngerer italienischer Frauen, die unternehmungslustig, selbstbewusst und anspruchsvoll ihre Rolle in der Gesellschaft neu erleben und begreifen wollen. Attraktiv, charmant, schlagfertig, berufstätig – vor uns steht die Powerfrau all’italiana , die Wert auf modische Kleidung und den Respekt ihrer Umwelt legt.
Vor vier Jahren hat Cristina nach siebzehn Jahren Ehe ihren Mann verlassen, an einem Tag im Juni, als sie mit dem Mann und den beiden Söhnen zu Tische saß und erlebte, dass die Söhne genauso am Essen herummeckerten wie der Mann. Da ist sie aufgestanden, hat Kleider und eine Decke in den Koffer gepackt und ist gegangen. »Das war mein erster Tag der Unabhängigkeit«, sagt sie heute. »Ich bin eine Frau, die nicht fähig ist, sich zu unterwerfen.« Und fügt nach einer Pause hinzu: »Außer wenn ich es selbst entscheide. Und nur aus Liebe.«
Frauen, sagt
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