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Lesereise Rom

Lesereise Rom

Titel: Lesereise Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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in den Rädern der politischen Maschinerie hängen. Dem Konzept des Rechtsstaats und der Rechtsansprüche des freien Bürgers steht mit starkem Beharrungsvermögen eine postfeudalistisch geprägte Gesellschaft gegenüber, in der alles über persönliche Beziehungen geregelt wird, angefangen beim eigenen Familien-Clan und dem großen Netz der Freunde.
    Es ist also kaum das Vertrauen auf eine gerechte Auslese der Besten der Nation, das Millionen Menschen immer wieder veranlasst, an den Kiosken nach den grellbunt aufgemachten Fachzeitschriften zu greifen, in denen neue Stellen und concorsi ausgeschrieben werden. Vielmehr demonstriert diese italienische Monstrosität heutzutage vor allem die Not der Arbeitslosen, die seit Jahren um die zwölf Prozent der Erwerbstätigen ausmachen. Im Süden sind es gar über zwanzig Prozent, bei Jugendlichen über fünfzig Prozent, und just in Süditalien gilt ein sicherer Job bei Rabenvater Staat schon immer als Verheißung.
    Man bewirbt sich also. Siebenhundert Posten waren in der Forstverwaltung frei, die Zahl der Kandidaten betrug fünfundfünfzigtausend. Für dreihundert Polizeistellen meldeten sich dreiundachtzigtausend Menschen, dreitausendsiebenhundertzweiundachtzig Jobs in der Justizverwaltung fanden zweihunderttausend Interessenten, und im Hotel Ergife in Rom traten wieder einmal zur Examinierung ihrer Allgemeinbildung zweiundvierzigtausend junge Frauen und Männer an, die Polizeimeister bei den carabinieri werden wollten. Gebraucht wurden ganze achthundert.
    In der Stadt Forlì bei Bologna suchte 1993 die Präfektur zehn Verwaltungsgehilfen, Anfangsgehalt umgerechnet etwa sechshundert Euro. Es bewarben sich elftausend Personen, rund die Hälfte nahm 1996 am schriftlichen Examen teil. Drei Prüfer und ein Sekretär brüteten monatelang über ihren Arbeiten, erst 1997 wurden die zehn Sieger eingestellt. In Nettuno südlich von Rom suchte im Frühjahr 1997 die dort angesiedelte Schule der Staatspolizei tausend Hilfskräfte in verschiedenen Sektoren. Es meldeten sich fünfhundertsechzigtausend Bewerber aus ganz Italien, vorwiegend aus dem Süden, allein etwa achtzigtausend aus dem Großraum Rom. Tag für Tag wurden dreitausendsiebenhundert dieser Kandidaten hergebeten und für eine Vorauswahl geprüft, vom ersten April an bis in den Herbst hinein. Danach sah das Verfahren medizinische und psychologische Untersuchungen vor, und erst am Ende dieser Prozedur sollten die Durchgekommenen sich der schriftlichen und mündlichen Schlussprüfung stellen. Wann auch immer.
    Wundert es da, wenn gelegentlich ein Bewerber den Mut und die Lust verliert und seinem Frust einmal in einem Interview Luft macht? Nicola Scartaghiande, ein junger Mann aus einem Dorf in der Provinz Reggio di Calabria hat dies im November 1995 getan und der Zeitung La Stampa erklärt, wie er als vielfacher Teilnehmer die concorsi anzugehen pflegt: mit einer Kerze und dem Telefon. Erstens überlegt er mit Verwandten und Freunden, ob man nicht irgendjemanden kennt, der einen kennt, der irgendwie mit dem Auswahlverfahren befasst ist. Und zweitens entzündet seine Mutter in einer Kirche, wann immer der Sohn wieder einmal zum Wettbewerb antritt, eine Kerze vor der Statue des heiligen Domenico Savio, des Schutzpatrons der Jugend. Nicola Scartaghiande hatte im November 1995 gerade einen persönlichen Rekord aufgestellt. Er war damals sechsundzwanzig Jahre alt und nahm an seinem siebenundzwanzigsten concorso teil.

Die Pornodiva mit dem Rosenkranz
Kontraste eines katholischen Landes
    Sie war eine Diva, eine Pornodiva, »eine intellektuelle Pornodiva«, wie ihr die Zeitung L’Unità nachrief, das einstige Zentralorgan der Kommunistischen Partei. Sie spielte klassische Gitarre, sie las hohe Literatur, sie liebte die Texte des Kirchenvaters Augustinus, und sie trug immer einen kleinen Rosenkranz bei sich. Moana Pozzi, Italiens berühmtester Nackt-Star, ist im September 1994 im Alter von dreiunddreißig Jahren gestorben, und in den Zeitungen des Landes wurde dies ebenso wichtig genommen und herausgehoben auf der ersten Seite verzeichnet wie der Tod des Philosophen Karl Popper, der zur selben Zeit zu vermelden war. Dies sagt über das Land und seine Zeitungen so viel wie über Moana Pozzi.
    Italiens Zeitungen und mutmaßlich auch deren Leser lieben den Klatsch. Hochseriös anmutende Gazetten wie der Corriere della Sera oder La Stampa pflegen in der Chronik der laufenden Ereignisse ausführlich auch Themen auszubreiten, die in

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