Lesereise Schottland
festhalten.«
Fat Sam’s Pizza Pie Factory im Zentrum von Fountainbridge ist zur Mittagszeit fast leer. Das Restaurant hat Ähnlichkeit mit einer Fabrikhalle, es bietet Platz für über zweihundert Gäste. Bizarre Stoffpuppen werden durch Blinklichter erleuchtet, in einem Aquarium schwimmt ein Fisch, an den Wänden hängen Fotos von US -amerikanischen Gangsterbossen. In der Ecke unter der Galerie sitzt eine junge Inderin. Sie ist bereits vor acht Jahren mit ihren Eltern nach Edinburgh gezogen, ihr Vater arbeitet in der Brauerei. »Mir ist unwohl bei dem Gedanken an schottischen Nationalismus«, sagt sie. »Dabei besteht immer die Gefahr, dass ethnische Minderheiten ausgegrenzt werden.« Bisher sei davon allerdings nichts zu spüren. »Die Schotten sind ein sehr gastfreundliches Volk. Vermutlich haben sie genug mit ihrem Hass auf die Engländer zu tun, sodass sich Rassismus gegen Minderheiten bisher nicht entwickelt hat.« Die SNP sieht sich jedoch als Partei »links von der Mitte« und will vor allem das Gesundheitswesen verbessern und die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Ihr Wirtschaftsplan malt ein rosiges Bild. »Wir sind eines der reichsten Länder Europas«, sagt SNP -Sprecher Kevin Pringle. »London kassiert jedes Jahr 1,1 Milliarden Pfund Steuern für schottischen Whisky. Wir haben Reserven von zwölf Milliarden Tonnen umweltfreundlicher Kohle, doch die Tories haben die schottische Kohleindustrie ebenso wie die Stahlindustrie mutwillig zerstört.«
Innerhalb von fünfundzwanzig Jahren ist die Zahl der schottischen Kohlebergwerke von einundsiebzig auf ein einziges geschrumpft, und mit der Hütte Ravenscraig ist 1992 auch das letzte Stahlwerk verschwunden. Arbeitsplätze in der Industrie sind in den achtziger Jahren fast auf die Hälfte zurückgegangen, gab die Cambridge Economic Review bekannt. Siebzig Prozent der Unternehmen in Schottland werden von England aus kontrolliert. Die SNP hofft auf die Europäische Union. »Die Struktur der EU bevorteilt kleine Länder«, behauptet Pringle. »Sie sind im Europäischen Parlament im Verhältnis zu ihrer Größe überrepräsentiert.« Umgekehrt brauche Europa aber auch Schottland: »Wir besitzen achtzig Prozent der EU -Ölreserven und ein Drittel der Fischfanggründe.«
Für die SNP hängt viel von den knapp achthunderttausend Katholiken ab – immerhin ein Sechstel der Bevölkerung, hauptsächlich Nachfahren irischer Auswanderer. Traditionell hängen sie der Labour Party an, weil sie lange Zeit die einzige Partei war, die irische Emigranten zur Teilnahme am politischen Geschehen ermutigte. »Sie war immer eine Partei, mit der sich Katholiken identifizieren und der sie vertrauen konnten«, sagt John Maclean, der Herausgeber des Scottish Catholic Observer . Während in anderen Ländern Europas die Hierarchie konservativ ist, steht die schottische katholische Kirche – außer bei Fragen der Moral – eher links. Bischöfe äußern sich oft zu wirtschaftlichen und sozialen Fragen, verurteilen Armut und Arbeitslosigkeit und sprachen sich im Gegensatz zu ihren englischen Glaubensbrüdern deutlich gegen den Golfkrieg aus. Katholische Pfarrer riefen in der Vergangenheit von der Kanzel dazu auf, die Labour Party zu wählen.
Die Kirche lehnte bisher jede Form schottischer Unabhängigkeit strikt ab – vor allem aus Angst um ihre vierhundertsiebenunddreißig katholischen Schulen. Sie befürchtet, dass religiöse Intoleranz und Diskriminierung Eingang in die Verfassung eines unabhängigen Schottland finden könnten. Noch bis in die fünfziger Jahre wurden Katholiken in Schottland diskriminiert, Stellenangebote enthielten meist den Zusatz: »Nur für Protestanten.« Noch 1936 war »Protestant Action«, eine zutiefst antikatholische Organisation, zweitstärkste Partei in Edinburgh. Doch die Zeiten haben sich geändert, die protestantischen Arbeiter richten sich bei Wahlen nicht mehr nach den alten religiösen Trennungslinien. Und die SNP versucht, den Katholiken das Misstrauen zu nehmen, indem sie der Kirche das Grundrecht auf katholische Schulen in einem unabhängigen Schottland zusichert. Im Gegenzug gibt die Kirche heute keine Wahlempfehlung mehr und hält sich aus der Unabhängigkeitsdebatte heraus, doch die Angst ist tief verwurzelt.
Auch scheinbare Nebensächlichkeiten können das Wahlverhalten beeinflussen: »Für uns Schotten ist der Fußball deshalb so wichtig, weil das einer der wenigen Bereiche ist, in dem wir eine internationale Rolle spielen«, sagt der
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