Lesereise Schottland
trägt einen selbst gestrickten Pullover. Ihr Mann Wes ist spindeldürr, hat ebenfalls lange graue Haare und einen mächtigen grauen Bart.
Die Fyffes mögen Schellenberg nicht, keiner mag ihn, und dass er einmal olympischer Bobfahrer war – was soll’s. Nach schottischem Feudalrecht, das noch immer in weiten Teilen des Hochlands und auf den Inseln gilt, gehört dem laird nicht nur der Grund und Boden, sondern auch alles, was darauf steht und wächst. Wie Leibeigene können die Bewohner jederzeit aus den Häusern vertrieben werden. »Jede Veränderung, jeder Schuppen musste von Schellenberg genehmigt werden«, sagt Maggie Fyffe, »doch er sagte fast immer nein.« Die Leute von Eigg begannen einen Kleinkrieg gegen Schellenberg und zermürbten ihn, bis er die Insel an den Stuttgarter Feuerkünstler Marlin Eckard, der sich Maruma nennt und in Wirklichkeit Herr Oesterle heißt, verkaufte. Dessen ehrgeizige Pläne für die Insel erwiesen sich als Luftschlösser. Um dem Ruin zu entgehen, musste er bald wieder verkaufen.
Da hatten die Inselbewohner genug von ihren lairds . »Wir warfen die Generatoren an und riefen per Internet zu Spenden auf«, erzählt Maggie Fyffe. Ein Märchen wurde wahr: Eine anonyme Spenderin schickte eine Million Pfund – zwei Drittel des Kaufpreises. »Ich hatte an zweitausend, vielleicht dreitausend Pfund gedacht, als sie eine größere Spende ankündigte«, sagt Maggie Fyffe.
Seit dem 12. Juni 1997 gehört den Menschen von Eigg die Insel, die ihre Heimat ist. Nun können sie endlich öffentliche Gelder beantragen, um die Gebäude zu retten, die der laird verkommen ließ. Selbst die Grand Lodge, das Herrenhaus von Eigg im italienischen Stil aus den zwanziger Jahren, in dessen Garten Palmen wachsen, ist stark mitgenommen. Trockenfäulnis hat das Parkett im Ballsaal gewölbt. Die einstige Klasse ist nur noch zu erahnen. Im Parterre liegen nebeneinander drei Badezimmer mit Zinkwannen und großen, schweren Wasserhähnen. Haben die Herrschaften gern gleichzeitig gebadet?
Hinter der Grand Lodge erhebt sich An Sgurr, dreihundertdreiundneunzig Meter hoch, wie eine Sphinx. Es ist die größte Masse an Pechsteinlava in Großbritannien. Sie wurde im Tertiärzeitalter von den Vulkanen auf Rum, Mull und Ardnamurchan ausgespuckt. An Sgurr verleiht Eigg eine weithin sichtbare Autorität, mal wirkt er wie ein kauernder Löwe, mal wie ein Drache. Vielleicht wurde die Insel deshalb zum Treffpunkt der hebridischen clan chiefs. Oben, in der Nähe des Forts aus der Eisenzeit, hat man ein Saurierskelett gefunden. Saurier sind selbst auf Eigg längst ausgestorben, auch wenn dort die Zeit stehen geblieben ist. Aber es gibt hundertsiebzig Vogelarten und vierhundertdreißig verschiedene Pflanzen auf der kleinen Insel. Um den Gipfel des Sgurr kreisen Steinadler, Bussarde, Seeschwalben, auch Sturmtaucher, sie wurden von den Bewohnern fachach getauft, »Dickmöpse«, und weil die Insulaner die Vögel früher gegessen haben, bekamen sie schließlich selbst diesen Namen.
Zu Füßen des mächtigen Lavabrockens liegen Upper und Lower Grulin, zwei Siedlungen, von denen heute nur noch Reste übrig sind, überwachsen von Heidekraut. Hier lebten einmal hundertzwanzig Menschen, sie hatten der Insel mit Hilfe von Seetangdünger kleine Streifen fruchtbaren Bodens abgerungen. 1827 kaufte ein Hugh McPherson die Insel vom MacDonald- Clan , der sie mehr als fünfhundert Jahre besessen hatte. McPherson wollte mit der Schafzucht Geld verdienen, und da war kein Platz mehr für die Menschen: 1853 wurden die Bewohner Grulins auf Schiffe verfrachtet und nach Nova Scotia in die Neue Welt geschickt. Seitdem gehören die beiden Geisterdörfer den Schafen. Der schottische Schriftsteller R. B. Robertson schrieb 1957: »In der Stadt trifft man das Schaf nur selten an; aber es zeigt, entgegen dem allgemeinen Glauben, überhaupt nur geringe Neigung, sich in großen Herden zu sammeln, außer in Zeiten der Gefahr. Die Schafe haben eher die Tendenz, sich so weit über die Erdoberfläche zu zerstreuen, wie es die göttlichen und menschlichen Zäune zulassen.«
Auf Eigg leben zweitausend Schafe. Die Hälfte davon gehört Colin Carr. Seine dichten Locken und das jungenhafte Gesicht lassen ihn jünger erscheinen. Er kam 1975 nach Eigg für einen Sommerjob, traf Marie, eine Inselschönheit, und blieb fürs Leben. Die beiden haben fünf Kinder, die nun die Hälfte der Schülerschaft in der Zwergschule von Eigg ausmachen. Nach Abschluss der Grundschule
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