Lesereise Schweiz
Käselaibe vom Vortag dort im Salzbad liegen können und Rinde bilden. Die älteren Laibe reifen schon im Käsegestell. Einmal am Tag »schmiert« Meile sie mit der immer noch geheimnisumwobenen Sulz ein, die dem Appenzeller erst seine unnachahmliche Würze verleiht. Nur wenige kennen das Rezept dieser scharfen Beize, die dem Käse den letzten Schliff gibt. Sie besteht, so viel ist sicher, aus Weißwein, Kräutern und Gewürzen. Welche Spezereien aber und in welchem Verhältnis, darüber wird eisern geschwiegen.
Gut zehn Tage bleibt der Käse in Meiles Käsekeller. Dann kommt er nach unten ins Tal in eine Urnäscher Käserei, wo der Reifeprozess sich noch sechs Wochen fortsetzt. Zwei Monate nach der Herstellung ist der junge vollfette Käse genussreif und wird verkauft. Er schmeckt voll und zart, würzig und doch mild. »Die Leute halten mich für einen launischen Exoten«, sagt der Senn, als er die letzten Schalen und Kannen reinigt. Etwas Bedauern schwingt in seiner Stimme mit. »Aber das bin ich gar nicht. Ich will nur nicht sein, wie alle anderen.«
Gruseln in Gruyères
Von Aliens mit Vorlieben zu Käse und Schokolade
Haben Sie den Film »Alien« gesehen? Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber hundertsiebzehn Minuten Gruselstimmung sind garantiert. Unter Cineasten gilt er als einer der größten Science-Fiction-Klassiker der Filmgeschichte. 2009 lief der fünfte Teil der Horrorsaga aus dem Weltraum an.
Und ausgerechnet in der lieblichen Voralpenregion, in dem puppenstubenartigen Burgdorf Gruyères, kann man es sehen, das extraterrestrische Monster, das sonst auf einem öden, staubtrockenen Planeten haust, in Eiern heranwächst und in dessen Adern Säure fließt.
Vor gut fünfundzwanzig Jahren kam Alien erstmals in die Kinos, dieses unheimliche, intelligente, das von einem ausgeprägten Tötungsdrang beseelte Wesen. Sein Schöpfer ist der Schweizer Surrealist H. R. Giger. Der Maler, Bildhauer und Designer erhielt 1980 den Oscar für den Entwurf des Alien und die Spezialeffekte in dem von ihm erfundenen »biomechanischen Stil«. Doch der Zuschauer hat das Alien im Ridley-Scott-Streifen nie richtig zu Gesicht bekommen. Seit 1998 sind diese und andere Werke Gigers in seinem Museum Château St. Germain innerhalb der Mauern des Burgdorfs Gruyères zu sehen, darunter Designs zu den Filmen Alien 1 und 3, Poltergeist 2, Species und Dune, allesamt Gänsehaut-Movies. Wer nach der Besichtigung einen Drink braucht, kann in der Giger-Bar gleich gegenüber noch etwas nachgruseln. Sie vermittelt neugotisches Kathedralenflair, wenngleich die ausgestellten Skulpturen kein bisschen an himmlische Wesen erinnern.
So gestärkt, verdrängt die heimelige Szenerie des Burgdorfs den Zelluloid-Vielfraß in den Orbit. Über den Türmen der Grafenburg von Gruyères weht friedlich das Schweizer Kreuz auf rotem Grund, auf den Almen ringsum weiden seelenruhig braune Milchkühe. Statt schriller Alien-Schreie tönen lauschig Alphörner, am Eingang zum Schloss hüpft ein Narr von einem Bein aufs andere und bläst dazu die Flöte.
Wieso Giger sein grauenerregendes »Zentrum für Phantastische Kunst« wohl ausgerechnet in dem beschaulichen Gruyères eingerichtet hat? Twentieth Century Fox hätte hier genau so gut einen Historienfilm produzieren können. Die Ringmauern sind bestens erhalten, das Kopfsteinpflaster herrlich blank gewetzt, und mit dem übrigen Equipment kann der Schauplatz als Inbegriff einer kampferprobten Festung aus dem Mittelalter gelten. Auf dem hundert Meter hohen Felssporn besetzen Château Gruyères und Château St. Germain, Schlossgarten, Kirchlein, Wohnhäuser, Haupt- und Nebengassen, drei Tore und ein Brunnen das Areal von gut zehntausend Quadratmetern. Vor dem geistigen Auge erscheinen Ritter auf tänzelnden Rossen, Balladen schmetternde Minnesänger und verlumpte Marketender. Jährlich wird das Burgdorf deshalb von Tausenden Touristen gestürmt, womit es nach Chillon am Genfersee die meistbesuchte Ortschaft in der Alpenrepublik ist.
Die Greyerzer Grafen, die zu den bedeutendsten Geschlechtern der Westschweiz zählten, lieferten sich mit ihren Kollegen aus Bern und Fribourg so brutale Schlachten, dass selbst Aliens Respekt bekommen würden. Berühmt berüchtigt ist die Bataille von 1476, in der Graf Ludwig bei Murten gegen Karl den Kühnen ins Feld zog, weil jener Frankreich von der Nordsee bis nach Italien erweitern wollte. Auf den Gobelins und Wandgemälden im Greyerzer Schlossmuseum ist jede Menge blitzendes
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