Lesereise Sizilien
Palermo eine Berühmtheit.
Abteilung Fleisch. Nichts für zartbesaitete Gemüter. Halbe Lämmer baumeln in bunt gekachelten Ladengewölben, Rinderteile, dicke Schinken, Hühner in allen Formen, lebendig, gerupft, in Käfigen. Zicklein, schon erlegt, teils noch mit Fell, die am besten über den Rost gebraten mit frischen Kräutern oder in umido, gesotten mit Gemüse der Saison, schmecken. Gegenüber ein Röster, auf dessen Holzkohlengrill Lammkoteletts, Schweinebauch und coratelle (sizilianisch auch stigliola ), Innereien vom Lamm, vor sich hin brutzeln. Daneben ein Arancine -Stand, hier gibt es Bällchen aus safrangelbem Reis, außen goldgelb wie eine Orange gebräunt in siedendem Fett mit einer Füllung aus gedünstetem Gemüse und Käse, Fleisch- oder Fischragout.
In der nächsten Gasse ein Stand mit involtini, Fleischröllchen, einem typisch sizilianischen Gericht der armen Leute, für die es das Wichtigste war, die Speisen haltbar zuzubereiten, um sie über längere Wege transportieren zu können.
Selbstverständlich hat auch der Käse seinen eigenen Auftritt. In allen Gelbtönen und den merkwürdigsten Formen hängen die Laiber am Stand. Von der ganzen Käsepalette des Stiefels bis zu Spezialitäten wie dem pecorino con la lacrima, dem weinenden Schafskäse. Ein gut abgelegenes Käsestück, das über die Nudeln gerieben wird und den parmigiano vergessen lässt. Cacciocavallo ist ein birnenförmiger, etwas säuerlich schmeckender Kuhkäse. Ragusano, ein Käse aus Kuhmilch, den es pikant gewürzt in den verschiedensten Formen gibt. Ricotta gibt’s ebenfalls in vielfältigen Varianten. Affumicata, als geräucherter Käse aus Schafsmilch, als ricotta forte und ricotta salata, abgelagert und gesalzen.
In den Seitengassen kleine Lädchen, Metzger, Bäcker, Tante-Emma-Läden, die vom Schnürsenkel bis zum Kaugummi alles verkaufen. Davor breiten Verkäufer Zigaretten aus.
Ein Geräuschgewirr wie auf einem orientalischen Basar, es wird gefeilscht, gestritten, beraten, geflucht, gelacht. Und über allem wacht die Mutter Gottes, die in jedem Marktstand ein Plätzchen hat, neben winzigen farbigen Lämpchen mit Plastikblumen.
Wer keine Lust hat, sich knöcheltief ins Gewühl zu begeben, setzt sich auf die kleine Terrasse über dem Markt in der Trattoria »Shanghai«. Dort kann man die – nicht chinesische, typisch palermitanische! – Küche kosten und auf das Mittagstreiben der Vucciria hinabschauen. Oder aber man schaut sich einfach das berühmte Bild an, das Renato Guttuso 1974 von der Vucciria gemalt hat.
Mit Mut und Nudeln
Zwei Beispiele für den Kampf gegen die Mafia
Der Mann ist nie mehr in seinem Leben allein. Selbst wenn er auf die Toilette geht, begleiten ihn zehn Leibwächter. Sichern die Gegend, checken die Mülleimer, die Waschbecken, die Kloschüssel. Siziliens Superstar kann nicht singen, nicht tanzen und ist eine ganze Ecke älter als Robbie Williams und Co. Und doch ruft er ähnliche Symptome der Begeisterung hervor, wo auch immer er auftritt. Er heißt Leoluca Orlando und ist der prominenteste Mafia-Jäger Italiens. »Palermo gehört uns, nicht der Cosa Nostra!« Mit diesem Kampfaufruf gegen die sizilianische Mafia wurde der ehemalige Bürgermeister von Palermo, Professore Orlando, zum Hoffnungssymbol für seine Stadt und ganz Sizilien. »Mich bestätigt die Tatsache, dass allein in Palermo jedes Jahr rund zweihundertsiebzig Morde auf das Konto der Mafia gingen und ich es in meiner Amtszeit schaffen konnte, entschuldigen Sie meinen Ausdruck, die Zahl auf fünf ›normale‹ Morde zu senken. Zum anderen sind wir wieder stolz, Sizilianer zu sein. Wir haben uns gegen unsere Mentalität aufgelehnt«, sagt er in aller Bescheidenheit.
Orlando wurde 1947 als Sohn einer der ältesten Aristokratenfamilien Palermos geboren. Nach dem 1969 abgeschlossenen Jurastudium setzte er sein Studium am Heidelberger Max-Planck-Institut für Völkerrecht fort und machte als einer der jüngsten Rechtsprofessoren Italiens Furore. Ein Schlüsselerlebnis für seine weitere Laufbahn war die Ermordung seines Freundes Piersanti Mattarella, des sizilianischen Regionalpräsidenten, im Jahre 1980. Von da an begann Orlando, sich gegen die Mafia zu engagieren, die mit blutiger Gewalt ganz offen gegen die Gesellschaft Italiens und ihre demokratischen Institutionen wütete. Er vertrat Mafia-Opfer vor Gericht und gründete die Anti-Mafia-Bewegung La Rete, das Netz. Der »Kreuzritter gegen die Mafia« sammelte Erkenntnisse über die
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