Lesereise Sizilien
nach Christus, 1669 kamen sogar mehr als zwanzigtausend Menschen um. 1928 wurden zwei Dörfer fast vollständig unter einem Lavastrom begraben und 1947 bildeten sich bei einem Ausbruch zwei neue Krater. 1992 gab es einen größeren Ausbruch, bei dem gewaltige Lavaströme die Abhänge hinunterflossen. Sie drohten damals die Ortschaft Zafferana zu verschütten, doch das Militär konnte die Lava noch rechtzeitig durch Sprengungen umleiten. Noch bedrohlicher war die Situation im Jahre 1910, als ein Lavastrom erst kurz vor Catania zum Stehen kam. Der Vulkanausbruch im Sommer 2001 dürfte der schlimmste seit Jahrzehnten gewesen sein – vorerst. Die Lava wälzte sich über die Skiliftanlagen am Ätna, ein Ferienhaus ging in Flammen auf. Der größte Strom floss in Richtung Nicolosi und kam etwa vier Kilometer vor dem Ort zum Stillstand. Schon zu Beginn des Jahres 2002 war wieder leichte Aktivität zu verzeichnen, seit Ende Juli 2002 war sie immer stärker geworden und im Oktober brach der Vulkan abermals aus.
Und jetzt? Holt der Ätna Luft für den nächsten starken Ausbruch? Oder ist er dabei, sich nach den heftigen Eruptionen wieder zu beruhigen? Die Stimmung in den Städten und Dörfern um den Vulkan bleibt angespannt. Nicht nur die Bürger, auch die zuständigen Wissenschaftler vom Nationalinstitut für Geophysik und Vulkanologie in Catania und vor allem die verantwortlichen Behörden beobachten jede Regung des Feuerbergs mit Sorge. Aus seinem neuen Krater unterhalb des Gipfels quellen permanent Aschewolken kilometerhoch gen Himmel. Auch die Zentralkrater in dreitausenddreihundert Meter Höhe stoßen neben Asche zusätzlich ätzende Schwefeldämpfe aus, und die Flanken des Vulkans erzittern immer noch.
Und die Menschen? Sie hassen und sie lieben ihn. Der Ätna nimmt und er gibt. Von hier weggehen? Niemals. Wenn er wieder mal ausbricht, gehen die Bilder im Fernsehen um die Welt, erschrecken Millionen, die Hotelbuchungen sinken. Die Bewohner werden mit Anrufen von besorgten Verwandten überhäuft, die wissen wollen, ob sie noch am Leben sind. Dafür hassen sie ihn. Doch in der Nähe des Feuerbergs gedeihen Wein und Obst besonders gut, und dafür lieben die Bewohner der Dörfer rund um den Ätna ihren wilden Nachbarn. Aus den süßen Trauben werden der Etna bianco und der Etna rosso, zwei kräftige DOC -Weine höchster Qualität, gekeltert. Berühmt sind die Pume dell’ Etna, kleine supersüße Äpfel; sogar wilder Spargel wächst hier. Die Häuser sind aus Lavastein, oft blau oder rosa angemalt. Die Bürgersteige ebenfalls, die Kirchen und auch die Torbögen. Die Sensationstouristen kommen in Scharen. Und nicht zuletzt lässt sich mit Lava-Souvenirs richtig Asche machen. Aber was ist mit dem Risiko? Pazienza, sagen die, die mit dem Feuerberg tanzen.
Früher dachten die Griechen, auf dem Grund des Vulkans würde der mächtige, launische Feuergott Hephaistos, der halbgöttliche Sohn des Zeus, wohnen, den man mit Opfern besänftigen muss, damit er nicht wütend wird und Lava spuckt. Sogar Menschenopfer sollen ihm gebracht worden sein. Die Römer vermuteten im Ätna die Schmiede des Gottes Vulcanus. Der griechische Dichter Homer erzählt, dass sich auf dem Ätna die Höhle des Kyklopen Polyphem befand, der Odysseus und dessen Gefährten gefangen genommen hatte. Und auch die Rolle eines verschmähten Nymphen-Liebhabers, der mit Felsbrocken um sich wirft, hat man ihm zugedacht.
Circumetnea heißt die kleine Schmalspurbahn, die rund um den Ätna tuckert und in der man den sagenumwobenen, fauchenden und zuckenden Gesellen näher ansehen kann – vorausgesetzt, das Monster verhält sich ruhig. Keine Bange, die Nebelmütze, vollgepackt mit CO2 schwebt ständig über dem Krater, pennecchietto, Federbüschelchen, haben sie die Sizilianer getauft. Schüler, Pendler auf dem Weg zur Arbeit, Hausfrauen mit vollgepackten Einkaufstaschen benutzen die kleine Bahn, die oft hoffnungslos überfüllt ist. Pünktlich rollen die aus zwei Waggons bestehenden Züge auf ihrer Schmalspur in die Stationen. Vom Meeresniveau kämpft sich die Circumetnea bis auf fast tausend Meter Höhe. An den unteren Hängen leuchten Zitronen, Orangen, Bananen und Dattelpalmen. Eine der ersten Stationen ist Randazzo an der Nordflanke des Vulkans. »Taormina der Berge« wird das Städtchen genannt und wurde schon in byzantinischer Zeit gegründet. Nach und nach ließen sich griechische, latinische und lombardische Emigranten nieder, die bis ins 16. Jahrhundert
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