Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Haus des Ehrenwerten Mister Windham demolierte.
Der Prinz war so vernarrt in seine Sommerfrische, dass er sich in seinem Schlafzimmer mit Spiegeln noch vom Treiben auf der Straße überzeugen wollte. Dafür zeigte man sich draußen interessiert an seinem Schlafzimmer: 1785 ging er heimlich eine skandalöse Ehe ein mit einer jungen Katholikin und zweifachen Witwe, Mrs. Mary Fitzherbert, zehn Jahre später heiratete er abermals, diesmal standesgemäß die Cousine, und unvergessen ist sein Wort, als er sie erstmals sah: »I am not well, pray get me a glass of brandy.« Auch die Hochzeit stand er nur im Alkoholrausch durch; sie brachte ihm Erleichterung von seinen Schulden, die sich auf sechshunderttausend Pfund Sterling beliefen, ehe er sich bald darauf als Vater einer Tochter wiederum vom Ehejoch befreite und nach allerlei Affären Mrs. Fitzherbert aufs Neue zu sich nahm.
Seit 1787 hatte George ein Haus in Brighton: Marine Pavilion, den schnörkellosen Vorgänger des späteren Palastes. Der vermochte auch nach Erweiterungen nicht mehr lange, ihm zu genügen – zumal seit 1804 die Royal Stables und die Riding School des Baumeisters William Porden ein neues Zeichen gesetzt hatten: Indien war angesagt als neuer Traum vom Lebensraum. England war in jenen Jahren abgeriegelt von Napoleon, die Tradition der »Continental Tour« des Adels unterbrochen, jetzt kam man selten weiter als bis Brighton, das damals wegen seiner guten Postkutschenverbindung mit der Hauptstadt Englands Hauptfährhafen war. Und eben hier, zur selben Zeit, da Coleridge im Rausch den Orient beschwor, entstand nach Plänen von Repton und Nash das Lust- und Luftschloss des Prinzregenten. Es wurde die Geburt der Chinoiserie aus dem Zeitgeist der Klaustrophobie, standesgemäß, aber teuer.
Nur weil sein Vater schon in geistiger Umnachtung lebte, fand der vierte George als Prinzregent den Zugang zu den Mitteln, dass am Ende auch der Dichter Byron reimte: »Shut up – no, not the King but the Pavilion,/ Or else twill cost us all another million«. George saß schon auf dem Königsthron, als seine Fliehburg schließlich fertig war, so heißt sie noch heute The Royal Pavilion, und sieht auch heute noch so aus wie bei der Fertigstellung 1822 – in manchem wie das Schloss von Kubla Khan in Xanadu aus Coleridges Gedicht: »The shadow of the dome of pleasure/ Floated midway on the waves«. Zwar grünt in Brighton alles rings um den Palast, doch ein kleines Becken zwischen den Rabatten macht es möglich: Wenn man sich nur tief genug hinunterbeugt, sieht man die ganze bengalische Muselmanie mit ihren Schornsteinminaretten und Zwiebeltürmen kopfunter im zitternden Wasser. Der König weinte, als er seinen Traum zum ersten Mal betrat.
Viel Glück war ihm indessen nicht beschieden. Verfettet und von Gicht und Wassersucht geplagt, blieben ihm keine vier Jahre in seinem Maharadscha Pavillon am Ärmelkanal, am 6. März 1827 verbrachte er dort seine letzte Nacht, 1828 stellte man ihm gegenüber noch ein Denkmal auf, 1830 starb er auf Windsor Castle. Sein Bruder, der ihm als William IV. auf den Thron folgte, da die Tochter schon zuvor gestorben war, hatte andere Vergnügungen im Sinn als Brighton. Nur die gusseisernen Sockel der Straßenlaternen rund um den Palast erinnern heute noch an ihn mit ihren Initialen: WR IV . Dafür steht Victoria verdrossen auf dem Denkmalsockel jenseits der Straße im Grün der Victoria Gardens. Sie zeigte nur wenig Geduld mit dem goldenen Käfig des Onkels, 1845 hatte sie genug vom »Pöbel, der bis in die Gemächer stiert und den ganzen Ort in ein Gefängnis verwandelt« und reiste fortan auf die Isle of Wight. 1850 ging der ramponierte Palast für eben mal ein Zehntel seines Preises an die Stadt: fünfzigtausend Pfund. Und auch dabei nur mit einer Stimme Mehrheit, wie es heißt.
Mochte »Prinny« auch ein Makel für die englische Geschichte sein: Für Brighton brachte er den Durchbruch. In den etwa vierzig Jahren seines Wirkens oder Wirbelns wuchs die Stadt von dreitausendsechshundert Einwohnern (1780) auf 21.429 (1821). Heute hat sie, vereint mit dem Nachbarort Hove, rund eine Viertelmillion, doch immer noch dasselbe Herzstück: den spleenigen Serail des Prinzregenten. Nach einer Brandstiftung im Jahre 1975 war er gerade wiederhergestellt, als der Jahrhundertorkan vom 16. Oktober 1987 eines der Minarette durch das Dach warf und für neuen ungeahnten Schaden sorgte. Noch einmal waren mehr als tausendundein Arbeitstag vonnöten, um den
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