Lesereise Tschechien
Freiheiten erhielten und das Land sich auch dem Westen öffnete, gerieten die beweglichen Kulturdenkmäler in Gefahr.
Wie in der früheren DDR oder Polen, so schwärmten auch in Tschechien gleich nach der Wende niederländische, deutsche und österreichische Antiquitätenhändler aus bis in die tiefste Provinz. In der Verwirrung des Umschwungs wurden Möbel, Gemälde oder Statuen den bisherigen Besitzern zu Schleuderpreisen abgeschwatzt. Ganz zu schweigen von dem, was professionelle Diebe systematisch in kaum gesicherten Gebäuden plünderten.
In keinem anderen Land gibt es nach Meinung der Prager Zeitung Lidové noviny eine Parallele für das, was damals in Tschechien geschah. Die Zahl der Artefakte, die allein aus Kirchen entwendet wurden, wird auf mehr als eine Million geschätzt. Dies übertrifft sogar die Schäden, die im Dreißigjährigen Krieg entstanden, wie der Prager Diözesankonservator Václav Kelnar meint. Ihm fällt zum Vergleich nur die Periode der Hussiten-Kriege zwischen 1419 und 1439 ein, in denen fanatisierte Bilderstürmer wüteten. Auch in den vergangenen Jahren wurden manche Gotteshäuser bis zu zwanzig Mal von Dieben heimgesucht.
Im südböhmischen Wallfahrtsort Římov (Rimau) bei Budweis zum Beispiel stahlen sie aus den Kapellchen eines sechs Kilometer langen barocken Kreuzwegs schon zwanzig von sechsundsechzig hölzernen und steinernen Skulpturen. Auch Gitter halfen dagegen nicht, sie wurden herausgerissen. Jetzt hat man die Originale ins Depot gebracht, in den Kapellen will man Kopien ausstellen und sie besser schützen – zum ersten Mal in vierhundert Jahren stehen die Kreuzwegstationen leer, wie Lidové noviny beklagte.
Das Ergebnis solchen Vandalismus ist, dass man in Tschechien außerhalb der gut besuchten Touristenorte kaum einmal auf eine Kirche trifft, die nicht verschlossen wäre. Und meistens ist den Bauten anzusehen, dass sie jahrzehntelang vernachlässigt wurden. Nur rund ein Drittel der Tschechen ist katholischer Konfession, die meisten haben keine Religion. Die Kirchen werden nur zum Gottesdienst aufgesperrt, ihre Betreuung wäre ansonsten nicht gesichert.
Nicht nur Gotteshäuser, auch ungezählte weltliche Kulturdenkmäler sind vom Verfall bedroht, Paläste ebenso wie dörfliche Bauernhäuser oder historische Industrieanlagen. Der Grund dafür ist »nicht nur der Mangel an Geld, sondern das niedrige Niveau des öffentlichen Bewusstseins vom Wert dieser Dinge«, wie Věra Kučová, die stellvertretende Leiterin des Nationalen Denkmalschutzamts, sagt. Die meisten Tschechen wissen nicht, welch einen kulturellen Reichtum die vielen mittelalterlichen Schlösser, die prächtigen Marktplätze so vieler Kleinstädte oder auch Dörfer wie der barocke Ort Holašovice im Süden Tschechiens darstellen, der zu den zwölf Weltkulturerbestätten der UNESCO im Land gehört.
Auch Eger, im Stadtkern ein historisches Ensemble von höchster Erlesenheit, ist eines dieser Juwele. Im Jahr 2011 wurde mit Vorträgen, Ausstellungen, Theaterabenden und Konzerten das neunhundertfünfzigste Jubiläum der urkundlichen Ersterwähnung begangen. Archivdirektor Karel Halla und die Kriminalpolizei ackern des ungeachtet weiter die Kataloge europäischer Versteigerungen durch und haben dabei besonders ein Wiener Auktionshaus im Blick, wo vor zwei Jahren schon einmal Egerer Urkunden aus dem verschwundenen Bestand feilgeboten wurden. Die Wiener Staatsanwaltschaft aber glaubte damals der Versicherung des Auktionators, die Ware sei schon vor 1989 rechtmäßig in den Besitz der Verkäufer gelangt, und lehnte die Beschlagnahme ab – für Karel Halla ein gänzlich unglaubwürdiges Argument. Halla sorgt sich, beim Tod eines Sammlers könnten die historischen Briefe von den unwissenden Erben vernichtet werden, und er wünscht sich deshalb für sein Anliegen größtmögliche Publizität. Damit nach der Gemeinheit nicht auch noch die Ignoranz dazu führt, dass Tschechien gewisse Kostbarkeiten für alle Zeiten verliert.
Heilung für den Ort der Leiden
Theresienstadt kämpft gegen den Verfall der historischen Festungsbauten und sucht seine Rolle in der Zukunft
Dass die Bürgermeisterin Růžena Čechová ein schweres Amt hat, steht niemandem klarer vor Augen als ihr selber. Fünfzehn Jahre lang leitet sie nun schon die Geschicke von Theresienstadt, und eigentlich würde sie mit ihren einundsiebzig Jahren und ihren Rückenproblemen gerne die Verantwortung an jemand Jüngeren abgeben. Nur findet sich keiner, der sich
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