Lesereise Tschechien
ist. Schon 1711 weilte Zar Peter der Große in Karlsbad, ihm folgten Grafen, Admiräle, Forscher und bekannte Dichter wie Nikolaj Gogol und Iwan Turgenjew, die ebenso wie Johann Wolfgang von Goethe oder Karl Marx von den Karlsbader Trink- und Badekuren Abhilfe gegen Gicht, Diabetes oder Verdauungsbeschwerden erhofften. Nicht erst seit gestern, sondern schon seit 1897 steht im vornehmsten Stadtviertel, am waldgesäumten Berghang, die russisch-orthodoxe Kirche St. Peter und Paul, ein Leuchtturm in Weiß, Hellblau und Gold.
Heutzutage kommen jährlich an die vierzigtausend Kurgäste aus dem Osten, 2009 waren es dreiunddreißigtausendfünfhundert Russen und knapp fünftausend Bürger früherer Sowjetrepubliken, nicht gerechnet die über zehntausend Hotelgäste ohne Kur. Die Deutschen, die den zweiten Rang halten, fallen mit dreizehntausendfünfhundert Kurgästen und sechzehntausendfünfhundert sonstigen Touristen ab. Die Russen bleiben länger als andere Gäste, zwei Wochen im Schnitt, und schätzungsweise dreitausend Russen leben dauerhaft in Karlsbad, weitere in der Umgebung. Doch niemand weiß, auch Vizebürgermeister Klsák nicht, wie viele der Karlsbader Immobilien, gerade im Kurzentrum, inzwischen in russischer oder kasachischer und ukrainischer Hand sind. Ist es ein Drittel, wie gesagt wird, oder ist es schon mehr? Sicher ist: Postsowjetische Konsortien besitzen eine ganze Reihe von Hotels, Appartementhäusern, Kurkliniken und edlen Villen. Zudem wurden Betonbauten in Grünzonen gesetzt, in einem Park ist gar ein »russisches Dorf« entstanden, wobei die Genehmigung fraglich war.
Es ist diese Art von Unregelmäßigkeiten, über die sich die Karlsbader Bürger erregten. Ein anderes Ärgernis war die Entkernung zweier Kinderkliniken sowie des historischen Quisisana-Palace gleich gegenüber dem famosen Grandhotel Pupp. Der Palast – er gehört nach Presseberichten zum Imperium der Unternehmerin Jelena Baturina, der Frau des früheren Moskauer Oberbürgermeisters – wurde deshalb von der Liste der Kulturdenkmäler gestrichen.
Dergleichen Vorkommnisse verstärken bei vielen Tschechen jene Russophobien, die noch aus der Epoche des Kommunismus rühren. Der Einmarsch der Sowjettruppen 1968 ist unvergessen, zudem waren die Sowjetführer oft in Karlsbad zu Gast. Es wird natürlich auch gefragt, wie mancher russische Investor wohl zu seinem Geld gekommen sei. Und eine gern zitierte Legende besagt, die Bosse verschiedener russischer Mafia-Gruppen hätten sich verständigt, in Karlsbad Ruhe zu halten. Anhaltspunkte für solche Behauptungen existieren nicht, immerhin wurde im März 2011 in Karlsbad ein international gesuchter Boss einer russischen Mafia-Gruppe gefasst, die in Ungarn Schutzgeld erpresst haben soll. »Es gibt sicher Kriminalität in der Region«, sagt Vizebürgermeister Klsák, »aber sie stellt kein großes Problem dar.«
Karlsbad ist ruhig, nur ist für Klsák »sehr offensichtlich, dass der Einfluss des Geldes hier sehr groß ist.« Ausländer wollten ihre Bedingungen vorgeben, fährt er fort, »aber es muss letztendlich so sein, dass die Bedingungen für das Leben in der Stadt von der tschechischen Seite vorgegeben werden, weil wir die Stadt regieren.«
Was Karlsbad mitmachte, erlebten andere Städte wie beispielsweise Prag mit anderen Investoren in der postkommunistischen Boom-Phase ebenso. Und wie in Karlsbad klagen Unternehmer auch anderswo, den Anstoß zur Korruption gäben eher tschechische Beamte. Auch Tomáš Král, der tschechische leitende Direktor der Karlsbader Hotelgruppe Bristol, die russische Gesellschafter hat, versichert, dass eher die Tschechen krumme Wege gingen. Seine russischen Arbeitgeber hätten ihm stets ihr Interesse bekundet, alles korrekt nach tschechischem Gesetz abzuwickeln, sie wollten »alles in Ordnung haben«.
Die Bristol-Gruppe vereint ein Dutzend Karlsbader Hotels unter ihrem Dach, darunter einen zentralen Komplex an der Kolonnade. Sie ist dabei, sich neu auszurichten, nicht mehr nur die russische Klientel als Zielgruppe ins Auge zu fassen. Das Geschäft ist international, der sechsunddreißigjährige Tomáš Král spricht mehrere Sprachen, und dass er viel zu tun hat, belegen schon die ständigen Anrufe auf dem Handy, die ihn beim Gespräch in einem der Hotels an der Tepl erreichen. Zum Essen kommt er darüber nicht.
Auch Jiři Kotek ist ein Mann, der seine Zeit einteilen muss. Wie Jiří Klsák ist er seit November 2010 stellvertretender Bürgermeister, erster
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