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Lesereise Tschechien

Lesereise Tschechien

Titel: Lesereise Tschechien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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seiner Mutter Maria Theresia. Zwei Jahrhunderte lang war die Stadt, auf fünfzehntausend Bewohner ausgelegt, erfüllt vom Treiben der Soldaten und ihrer Familienangehörigen, zeitweise wurde hier mehr geboten als im benachbarten Litoměřice (Leitmeritz) oder in der Bezirkshauptstadt Ústí nad Labem (Aussig).
    Bis 1996. Dann löste die tschechische Armee aus Kostengründen den Standort Terezín auf, und »das war für uns eine sehr große Wunde«, wie die Bürgermeisterin sagt. »Wir konnten uns nicht vorstellen, dass Terezín eine Stadt ohne Armee sein sollte, aber wir haben vergeblich gekämpft.« Das Militär zog ab und hinterließ der Bürgermeisterin seine Gebäude, »zwar umsonst, aber in einem schrecklichen Zustand«, wie Růžena Čechová sagt. Eine »zweite schmerzliche Wunde« wurde der Stadt im Jahr 2002 durch ein epochales Hochwasser zugefügt, dem auch die Festungswerke nicht standhielten. Durch die unterirdischen Gänge drückten sich die Fluten hoch, sodass sie bei der Post wie Geysire aus der Erde schossen. Anderthalb Meter hoch stand das Wasser auf dem großen Platz, in den Geschäften zeigt man heute noch gerne die Markierung.
    Die Schäden waren immens, die Prager Regierung half bei ihrer Überwindung, doch den Aufbruch in eine neue Zukunft hat dieser Rückschlag nicht erleichtert. So wenig wie die hochfliegende Planung des konservativen Bürgermeisters Jan Horníček, der 2002 die langjährige Amtsinhaberin Růžena Čechová ablöste, 2007 aber wegen finanzieller Abenteuer abgesetzt wurde, sodass die parteilose Čechová das Ruder erneut übernehmen musste. Horníček wollte Universitätsinstitute mit zweitausend Studenten und Angestellten in die Stadt holen, er wünschte sich auch internationale Begegnungsstätten, es ging um zweihundertfünfzig Millionen Euro. Die Hochschulen in Ústí und Prag winkten ab, »das war ein größenwahnsinniges Projekt«, wie Růžena Čechová meint. Auch ein Plan der Bezirksverwaltung für ein europäisches Holocaust-Mahnmal nach Art der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ging ins Leere, denn eine Gedenkstätte und Museen gibt es ja schon. Frühere Projekte für ein Armeearchiv oder ein Literaturinstitut sind ebenfalls gescheitert.
    In kleinerem Maßstab ist es jetzt gelungen, etwas in Bewegung zu setzen: Seit Kurzem wird in Theresienstadt gebaut. Zwanzig Millionen Euro stellten die EU und das tschechische Kulturministerium für die Renovierung einer Kaserne, des historischen Reitstalls und zweier weiterer Gebäude bereit. Dort sollen ein Informations- und Veranstaltungszentrum sowie ein Artilleriemuseum unterkommen. In der Kaserne nimmt außerdem das Europäische Institut für das Vermächtnis der Shoah seinen Sitz, das 2009 bei einer Konferenz von dreiundvierzig Staaten in Prag gegründet wurde. Es soll den Weg von Kunstwerken und anderen Besitztümern klären, die Juden von den Nazis geraubt wurden und die immer noch den wahren Eigentümern vorenthalten werden. Zudem will es helfen, bedürftige Opfer der NS -Verfolgung im Alter zu unterstützen. Als weiteres wichtiges Projekt entsteht in der Kaserne das Europäische Studien- und Begegnungszentrum Leo Baeck, das auf die Initiative des in Berlin ansässigen Vereins der Freunde und Förderer von Theresienstadt/Terezín zurückgeht und vom Land Brandenburg unterstützt wird. Lehrer, Polizisten und Justizbedienstete aus Tschechien und Deutschland sollen dort die Möglichkeit zur Weiterbildung über die NS -Zeit haben.
    Für die Bürgermeisterin und ihre Bürger sind dies bedeutende Impulse. Sie wirken dem negativen Trend entgegen, der immer neue Zeichen setzt. Im Februar 2011 hat die Tschechische Sparkasse ihre Zweigstelle in Theresienstadt geschlossen, jetzt gibt es nur noch einen Bankautomaten. Die Stadt hat eine Reihe kleiner Geschäfte und Handwerksbetriebe, auch mehrere Kneipen und Hotels, aber es gibt »keine Perspektive«, wie die Apothekerin Zuzana Chlebna meint. Der rege Tourismus spiegele sich nicht im Leben der Stadt wider, sagt die Geschäftsfrau, die seit Jahren rückläufige Umsätze verzeichnet. 2012 geht die Achtundfünfzigjährige in Rente, die Zukunft der Apotheke ist ungewiss.
    Jan Munk, der Leiter der Gedenkstätte, ist überzeugt, dass die Probleme Theresienstadts sich »nur sehr langsam und stufenweise lösen lassen« und dass der Ort langfristig »seinen Platz auf der Landkarte Tschechiens und Europas finden wird«. Auch Bürgermeisterin Růžena Čechová wirft trotz all der Bedrückung

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