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Lesereise Tschechien

Lesereise Tschechien

Titel: Lesereise Tschechien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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Kundenzufriedenheit her zu verstehen«.
    Der Umschwung fand am 28. März 1991 statt. An diesem Tag unterzeichneten Ministerpräsident Petr Pithart, Regierungschef der tschechischen Teilrepublik im tschechoslowakischen Staat, und VW -Chef Carl Hahn den Vertrag über die gemeinsame Aktiengesellschaft Škoda, automobilová akciová společnost und den Einstieg des Volkswagen-Konzerns mit einem Anteil von zunächst einunddreißig Prozent, 2000 wurde er auf hundert Prozent erhöht. Auch BMW und General Motors hatten mitgeboten, am Ende wurde es ein Zweikampf zwischen VW und Renault, und dass die Deutschen den Zuschlag erhielten, bereitete vielen Tschechen durchaus Verdruss. Ausgerechnet der große Nachbar, der 1939 das Land mit Mord und Krieg überzogen hatte, sollte eine der Renommierfirmen bekommen?
    Die Deutschen ließen, als sie den Zuschlag hatten, erst einmal die Werkshallen säubern und fegen und fuhren auf Lastwagen tonnenweise Schrott und Müll ab. Den leitenden Managern stellten sie je einen Experten aus dem VW -Konzern zur Seite, und bis heute sind an die fünfzig Deutsche im Management vertreten. Dem siebenköpfigen Vorstand gehört nur ein einziger Tscheche an, die anderen sind Deutsche.
    Oft kollidierten am Anfang deutsche Unverblümtheit und Planungswut mit tschechischer Reserviertheit und Spontaneität. Die Lage war »nicht idyllisch«, oft prallten kontrastierende Mentalitäten aufeinander, wie in der Firmenchronik unverbrämt zu lesen ist: »die einfallslose Respekthaltung der Deutschen mit der chaotischen Kreativität und Improvisationsgeneigtheit der Tschechen«. Der Ingenieur und Manager Pavel Vacek, hoch droben in seinem lichten Büro, vor einem Luftbild des Škoda-Werkes, sagt es »ganz bewusst ein bisschen überspitzt« so: »Auf der einen Seite waren ab und zu zu stolze Tschechen und auf der anderen Seite zu kluge neue deutsche Kollegen.« Und fügt an: »Heute ist das sicher kein Thema mehr. Das war sehr personenspezifisch.«
    Man rückte den Gegensätzen mit interkulturellen Seminaren zu Leibe und raufte sich systematisch zusammen. VW gab den Ton und die Schlagzahl an und investierte Milliarden. Man errichtete neue Fertigungslinien, legte neue Modelle auf, baute ein neues Aggregate- und ein Montagewerk, steuerte Abläufe und Logistik um, änderte Strukturen und führte konzernweit die berühmten Synergieeffekte herbei, sodass zum Beispiel das Modell Škoda Octavia und der VW Golf einander zu fünfundsechzig Prozent gleichen.
    Mitarbeiter mussten umschulen, die Zahl der Beschäftigten, vor dem VW -Einstieg bei dreiundzwanzigtausend und 1991 bei achtzehntausend, wurde zeitweise auf sechszehntausendachthundertsechsundzwanzig abgesenkt. Ende 2005 aber lag sie bei fast sechsundzwanzigtausend, davon allein in Mladá Boleslav über einundzwanzigtausend, die restlichen in den tschechischen Werken Vrchlabí und Kvasiny. Ende 2010 betrug sie weltweit vierundzwanzigtausendsiebenhundert. Und keine Zahl hebt die epochale Bedeutung der Zäsur von 1991 so deutlich hervor wie die Produktionsziffer: Seit dem Einstieg von VW hat Škoda Auto binnen weniger als fünfzehn Jahren mehr als fünf Millionen Fahrzeuge erzeugt, das fünfmillionste, einen metallic-beigen Octavia, schmückten die Arbeiter am 1. November 2005 fürs Pressefoto mit einem Blumenstrauß auf der Haube – und fünf Millionen waren es auch in den fünfundachtzig Jahren zwischen 1906 und 1991. Inzwischen wurde die Produktion noch erheblich ausgeweitet, zum dritten Mal wird die Fünf-Millionen-Schwelle bereits Ende 2012 erreicht.
    Das sind Erfolge, die zusammen mit den Bestnoten für Qualität und Design auch Josef Středula begeistern, den Chef der tschechischen Metallarbeiter-Gewerkschaft KOVO . »Unsere Leute können riesige Dinge schaffen«, sagt er mit Blick auf die lange Industriearbeitertradition im Land. Nur: »Von der Tradition allein kann man nicht leben.« Versteht sich, dass andererseits der Gewerkschaftsführer auf einer Anerkennung der Qualitätsarbeit seiner Mitglieder in der Lohnrunde pocht. Das monatliche Bruttoeinkommen eines Bandarbeiters bei Škoda lag 2005 bei umgerechnet rund sechshundertfünfundzwanzig Euro – knapp einem Viertel des Wolfsburger VW -Niveaus bei allerdings höherer Kaufkraft und niedrigeren Steuern. 2011 war es bereits auf rund tausendzweihundert Euro im Monat gestiegen.
    Nicht Wolfsburg, sondern das tschechische Umfeld ist indes für die Gewerkschaft der Orientierungsrahmen, und da liegen die Škoda-Arbeiter

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