Lesereise Tschechien
Botschafters Johannes Haindl eingeweiht.
Leise schlägt das Moldauherz
Wie Adalbert Stifter zum sanften Patron einer neuen Nachbarschaft zwischen Tschechen, Österreichern und Deutschen wurde
Es hat sich viel geändert seit jener Zeit, aber Horní Planá, im Deutschen Oberplan genannt, lebt wie eh und je außerhalb der Rhythmen, die in München, Wien und Prag das Zeitalter formen. Noch immer liegt es in der Abendstunde still am Hang, während drunten am Fluss, nicht weit von dort, wo einst das Moldauherz zu sehen war, das Wasser glucksend an die Fähre und die Kähne schlägt. Die Moldau, sie heißt bei den Tschechen Vltava, war damals noch nicht aufgestaut. Natürlich gab es auch keine Straßenlampen, und das Geburtshaus des Dichters, das jetzt die Pension Adalbert und die Stifter-Appartements zu Nachbarn hat, war nicht mit seinem Hofratsdegen und seinen Werken in vierundzwanzig Sprachen ausstaffiert, sondern mit den schlichten Möbeln der Familie.
Es gab noch keine Tschechische Republik und keine EU , und nie hätte Stifter sich einen Sudetendeutschen genannt, damals war der Begriff noch nicht im Schwang. Aber die Berge und Wälder waren schon da, das Rauschen war da, und der Dichter, den dieses Oberplan nun einmal vor mehr als zweihundert Jahren hervorbrachte, hat alles, was dazu zu sagen ist, gesagt: »Da ruhen die breiten Waldesrücken und steigen lieblich, schwarzblau dämmernd, ab gegen den Silberblick der Moldau.«
Adalbert Stifter ist am 23. Oktober 1805 im Motzl-Haus in Oberplan als Ältester eines Leinenwebers geboren. Sein zweihundertster Geburtstag fiel im Jahr 2005 in eine Zeit und historische Konstellation, die dem Dichter eine zusätzliche Dimension verleihen, ihm eine neue Rolle geben, eine politische. Oberplan ist durch den Gang der neuesten Geschichte in ein Dreiländereck geraten, das in Bewegung ist. Aus alter Gegensätzlichkeit wird neue Nachbarschaft, und Stifter ist ihr sanfter Patron. Sein Jubeljahr wurde deshalb zu einem Festival der Versöhnlichkeit, und Horní Planá, mittendrin, wirkte tüchtig mit. Vor allem Jiří und Lenka Hůlka sowie Horst Löffler wirkten mit.
Oberplan ist ein alter Ort, 1349 ist der Marktflecken Plana erwähnt, wie in der Chronik des Heimatforschers Stanislav Jagr dargelegt. 1493 wird er als Miestecko Plan (Städtchen Plan) genannt, 1600 als Stadtl Plan. 1653 heißt er Oberplan, seit 1918 amtlich Horní Planá. 1918 fiel nämlich die Habsburger-Monarchie, die 1784 das Deutsche zur Amtssprache erklärt hatte, in sich zusammen und auseinander, das alte Böhmen wurde Kernland der neuen Tschechoslowakei, jetzt war die Amtssprache Tschechisch.
Noch ein paar notwendige Zahlen: Anno 1857, damals hatte Stifter seine besten Jahre als k. k. Schulrath in Linz schon hinter sich, wurden in Oberplan knapp tausend Einwohner gezählt, eine Unterscheidung in deutschsprachige und tschechische Böhmen befand man nicht für nötig. 1900 hingegen notierte man tausendachthundertfünfundzwanzig Deutsche und vier Tschechen, von ihnen siebenundzwanzig Juden, alle anderen katholisch. Dann kamen 1938 die völkischen Nazis und vertrieben Juden und Tschechen aus dem jetzt so genannten Sudetenland, zu dem Oberplan ja gehörte; 1945/46 folgte die Vertreibung der Deutschen durch die Tschechen. Nur sehr wenige Deutsche durften bleiben, und die Familie des Buchhändlers Löffler, der sein Geschäft am großen Anger in Oberplan hatte, gehörte nicht dazu.
Noch nicht genug Geschichte: Wer ermessen will, was der damals fünfjährige, 2005 dann fünfundsechzigjährige Horst D. Löffler sowie der dreiundvierzigjährige Bürgermeister Jiří Hůlka und seine neununddreißigjährige Ehefrau Lenka Hůlková, die Kustodin des Stifter-Hauses, in jenem Stifter-Jahr 2005 an Staunenswertem auf die Beine stellten, muss geduldig ins Detail gehen. Und immer wieder zurückblicken. Horní Planá also wurde nach 1945 mit Tschechen und Slowaken neu besiedelt und erlebte 1948 die Machtübernahme der Kommunisten, die Region wurde Grenzsperrbezirk, und nicht mehr lange war das Moldauherz zu sehen.
Stifter hatte das »leuchtende Band der Moldau« noch so beschrieben: »Durch die duftblauen Waldrücken noch glänzender, liegt es geklemmt in den Talwindungen, weithin sichtbar, erst ein Lichtfaden, dann ein flatternd Band und endlich ein breiter Silbergürtel, um die Wölbung dunkler Waldesbusen geschlungen – dann, bevor sie neuerdings schwarze Tannen- und Föhrenwurzeln netzt, quillt sie auf Augenblicke in ein
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