Lesley Pearse
Fakten von Märchen zu unterscheiden. Er konnte sich gut vorstellen, dass den Menschen, die nach Land gierten, jedes Mittel recht war, um ihre Handlungen zu rechtfertigen. Wahrscheinlich hatten sie auch zu diesem Zweck Gerüchte in die Welt gesetzt. Er hatte immer schon vermutet, dass die Geschichten über Siedler, denen des Nachts von Indianern die Kehle durchgeschnitten wurde, übertrieben waren. Allerdings wusste er auch, dass verzweifelte Menschen zu verzweifelten Taten fähig waren. Er wollte die Wahrheit erfahren.
»Die Rothäute meiden die Städte«, erklärte Solomon. »Ich habe zwar gehört, dass sie die Trecks abfangen, die ihr Territorium passieren, und sich mit Pferden und Nahrungsmitteln bezahlen lassen. Aber so wie ich das sehe, ist es ihr gutes Recht. Schließlich ist es ihr Land. Sie werden eine Menge beunruhigende Gerüchte über sie hören, aber ignorieren Sie sie einfach. Wissen Sie, wenn wir die Indianer in Ruhe lassen, lassen sie uns auch in Frieden, das ist meine Meinung.«
Nachdem Giles und seine Familie die hübsche kleine Holzkirche inmitten der Stadt besichtigt hatten, waren sie zu ihrem Haus gebracht worden. Giles hatte ein kurzes Dankgebet zum Himmel geschickt, als er sein neues Heim erblickt hatte. Es war keine improvisierte Holzhütte, wie sie am Stadtrand zu sehen waren, sondern ein zweistöckiges Gebäude im Zentrum von Independence. Es war weiß gestrichen, und der kleine Vorgarten war von einem niedrigen Holzzaun umgeben. Auf der großen Vorderterrasse gab es sogar einen Schaukelstuhl, auf dem man die warmen Abende verbringen konnte. Die Räume im Inneren waren viel komfortabler ausgestattet, als er jemals erwartet hätte. Das Esszimmer, die Küche und die drei Schlafzimmer waren geräumig, und hinter dem Haus hatten sie einen halben Acker Land zur Verfügung.
Mrs. Homberger, deren Mann die Poststelle im Ort leitete, hatte es persönlich in die Hand genommen, das Haus auf das Eintreffen des neuen Pfarrers vorzubereiten. Die Böden waren geschrubbt und poliert, strahlend weiße Vorhänge hingen an den Fenstern, und die Betten waren alle vorbereitet. Sogar die Küchenschränke waren mit frischem Papier ausgelegt und mit Lebensmitteln gefüllt.
»Wir werden uns ein Pferd und einen Wagen kaufen müssen«, bemerkte Giles mit einem strahlenden Lächeln. »Vielleicht schaffen wir uns auch zwei Schweine und ein paar Hühner an. Wir sind jetzt Landleute und sollten uns auch deren Fähigkeiten aneignen.«
Lily sah ihren Mann entgeistert an. »Schweine stinken, Giles«, wandte sie ein. »Und Hühner sorgen nur für Unordnung.«
»Aber sie geben auch gutes Essen her«, sagte Matilda und erriet, dass Lily den Garten eigentlich mit Rasen und Blumen hatte bestücken wollen. »Und wir müssen lernen, wie man Gemüse anbaut.«
Giles lächelte über Lilys schockierte Miene. Wie Matilda wusste er, dass sie von einem englischen Garten träumte. »Du kannst im Vorgarten Blumen pflanzen«, meinte er. »Ich werde auch ein paar Rosenbüsche für dich bestellen, aber das Land hinter dem Haus muss uns etwas einbringen.«
Matilda hatte eigentlich erwartet, dass sich das frühere Verhältnis von Herrin und Bediensteter wieder einstellen würde, sobald sie sich niedergelassen hatten. Auch hatte sie damit gerechnet, dass die alte Lily mit all ihren Eigenarten im Laufe der Zeit wieder zu Tage treten würde.
Doch glücklicherweise hatte sie sich getäuscht. Welches Wunder Lily auch immer verwandelt haben mochte, sie blieb eine glückliche, sorglose Frau. Sobald sie nach ihrer ersten Nacht bei Sonnenaufgang aufgestanden waren, hatte sie darauf bestanden, die Arbeit gerecht aufzuteilen. Die beiden Frauen lernten sehr viel voneinander. Matilda musste Lily zeigen, wie man einen Boden wischte, ohne ihn in einen See zu verwandeln, wie man den Ofen reinigte und die Wasserpumpe im Garten bediente. Dagegen wusste Lily überraschend viel über den Anbau von Gemüse, da sie als junges Mädchen ihren ärmeren Verwandten in Bath bei der Gartenarbeit geholfen hatte. Und was sie nicht wusste, erfragte sie bei den Menschen in der Stadt.
Bis September war es fürchterlich heiß, und die Schule war nur morgens geöffnet, weil die Hilfe der Kinder auf den Farmen gebraucht wurde. Tabitha war begeistert von diesem Zustand, und obwohl sie erst fünf Jahre alt war, jätete sie mit Freude Unkraut und versuchte sich im Umgraben des Gartens. Weil sie sich fast ausschließlich im Freien aufhielten, waren ihre Arme und ihr Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher