Lesley Pearse
klatschen hörte. Sie spürte einen Kloß im Hals, und ihre Augen wurden feucht. In dem Moment fühlte sie, dass auch sie eine Amerikanerin werden konnte.
11. K APITEL
D ie Abendsonne schien durch eines der Seitenfenster und gab Giles Milsons dunklen Locken einen kupfernen Schein, während er am Tisch stand und das Begrüßungsmahl betrachtete, das man ihm und seiner Familie bereitet hatte: eine große, golden gebackene Pastete, Teller voller Gemüse, warmes, frisch gebackenes Brot und ein Krug Milch. Nach einer solch langen und beschwerlichen Reise nach Independence, Missouri, wären Brot und Käse allein schon ein außergewöhnlicher Genuss gewesen, aber die Großzügigkeit und Freundlichkeit seiner neuen Gemeindemitglieder überzeugten ihn, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, mit seiner Familie hierher zu ziehen.
Er betrachtete seine Frau und seine Tochter und fühlte eine Woge der Zärtlichkeit in sich aufkommen. Lily wischte sich Freudentränen aus dem sonnenverbrannten Gesicht. Tabitha in ihrem vollständig zerknitterten und schmutzigen Kleidchen lief beim Anblick des Essens das Wasser im Munde zusammen, und Matilda, deren Augen so blau wie der Sommerhimmel waren, betrachtete lächelnd den Blumenstrauß auf dem Tisch.
Sie hatten New York im April verlassen, und es war jetzt Juli. Die eintausendzweihundert Meilen hatten sie im Zug, mit Booten und Kutschen zurückgelegt. Jede Meile war aufregend und neu gewesen, denn keiner von ihnen hatte eine konkrete Vorstellung von der Weite des Landes gehabt oder von seiner Schönheit.
Sie hatten viele unvergessliche Eindrücke mitgenommen – die blühenden Obstplantagen in Pennsylvania, die Größe des Eriesees, dichte Wälder, reißende Flüsse und spektakuläre Sonnenuntergänge im Gebirge. Sie hatten die flachen Steppen bestaunt und sich an der Hingabe der Menschen erfreut, die die unendlich erscheinenden Felder voller Korn und Weizen gesät hatten.
So aufregend die Reise aber auch gewesen sein mochte, die größte Freude für Matilda war, Lily so glücklich zu sehen. Sobald sie New York hinter sich gelassen hatten, war sie ein anderer Mensch geworden.
Plötzlich plauderte und lachte sie und befragte Giles neugierig nach dem Land. Er antwortete wie ein frisch verliebter Jüngling. Allerdings fühlten sie sich alle befreiter, seitdem sie die Stadt verlassen hatten. Es gab keine sozialen Verpflichtungen und Einschränkungen mehr, keinen Lärm und Straßenstaub. Die Weite und Offenheit des Landes schienen sie alle zu ermutigen, sich offener und freier zu bewegen. Giles fand großen Gefallen daran zu lernen, die temperamentvollen Pferde vor dem Wagen zu zügeln und abends für seine Familie ein Lager auszuwählen und zu bereiten. Lily lernte, auf offenem Feuer zu kochen, und Tabitha wurde zum ersten Mal in ihrem Leben von den vielen Unterröcken befreit. Sie konnte neben dem Wagen herlaufen, sich an Ästen entlanghangeln, in Bächen plantschen und die einfachen Freuden genießen, die Landkinder als selbstverständlich hinnahmen.
Was für ein Erlebnis es gewesen war, unter freiem Himmel zu schlafen! Aufregend, aber auch unheimlich, wenn sie des Nachts die Wölfe hatten heulen hören oder Geräuschen aus dem Unterholz gelauscht hatten. Sie hatten dicht zusammengedrängt beim Feuer gelegen und staunend den sternenklaren Nachthimmel betrachtet.
Aber die Reise war nicht nur angenehm und interessant gewesen. Sie hatten viele Meilen unwegsames Gelände durchqueren müssen, schwere Regenfälle hatten sie oft bis auf die Haut durchnässt. Auch waren ihnen manchmal die Lebensmittelvorräte ausgegangen, und besonders der letzte Teil der Fahrt war voller ängstlicher Momente gewesen. Einmal war ihnen ein Rad des Wagens gebrochen, und Giles hatte mit dem Pferd davonreiten und Hilfe suchen müssen, während die Frauen allein zurückgeblieben waren und nicht gewusst hatten, wann er zurückkehren würde.
Dennoch waren es gerade diese schlimmen Zeiten gewesen, die sie nachher zum Lachen brachten. Matilda hätte nie geglaubt, dass Lily dazu fähig wäre, ihre Schuhe und Strümpfe auszuziehen, die Röcke zu raffen und durch den Matsch zu waten, während sie nach Feuerholz suchte, oder dass Giles Fische fangen oder einen Hasen in die Falle locken konnte. Giles und Lily staunten über Matildas Erfindungsgabe, Feuer anzufachen und weiche Zweige zu finden, um daraus improvisierte Nachtlager zu bauen. Matilda selbst war überrascht, dass viele der Fertigkeiten, die sie
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