Lesley Pearse
eine kleine Ziege geschenkt hatte, die sie großziehen wollten, doch dann ging sie langsam zu dem Thema über, das sie schon seit einiger Zeit bedrückte.
»Ich weiß, ich habe versprochen, mich um Giles und Tabby zu kümmern«, flüsterte sie. »Ich werde dieses Versprechen nicht brechen, aber die Leute fangen an, über uns zu reden, weil ich als unverheiratete Frau mit Giles zusammenlebe. Was soll ich bloß tun?«
Es herrschte vollkommene Stille auf dem Friedhof, kein Windhauch bewegte die Blätter der Bäume, den Vögeln war es zu heiß zum Singen, und selbst die Stadt schien im Sonnenschein zu schlafen.
»Heirate ihn!«
Matilda war über diese geflüsterte Antwort erschrocken. Sie drehte sich herum, um zu sehen, von wo die Stimme gekommen war, doch es war niemand zu sehen.
»Ich glaube, ich werde langsam verrückt. Ich höre schon Stimmen«, sagte sie laut. »Natürlich ist mir diese Lösung auch bereits in den Sinn gekommen, aber selbst wenn Giles wollte, könnte ich deinen Platz niemals einnehmen, Lily. Stell dir vor, welch schreckliche Pfarrersgattin ich abgeben würde, so wie ich mich immer in alles einmische und Recht behalten will.«
Sie blieb noch eine Weile sitzen und hatte plötzlich das Gefühl, dass jemand in der Nähe sein musste. »Bist du hier, Lily?«, fragte sie flüsternd. »Gib mir ein Zeichen, wenn du mich hörst.«
Sie vernahm ein Rascheln im Laub und sprang erschreckt auf. Kein Windhauch hatte dies auslösen können, sie fühlte nicht einmal eine kleine Brise auf ihren Wangen, und das lange Gras auf dem Friedhof bewegte sich nicht.
»Was war das, verflucht?« Vor lauter Schreck verfiel sie wieder in die Sprache ihrer frühen Zeit in London.
»Man sollte dir den Mund mit Seife auswaschen«, erklang eine schroffe, männliche Stimme. Zu ihrem Entsetzen trat Giles hinter einem Baum hervor und grinste sie an.
»Giles!«, rief sie aus und errötete von Kopf bis Fuß. »Wie konntest du mich nur so erschrecken? Wie lange hast du dort gestanden?«
»Eine Weile«, antwortete er mit seiner normalen Stimme. »Ich hatte vor, mir den Grabstein anzusehen. Als ich dich entdeckte, wollte ich deine Andacht nicht stören, da habe ich mich hinter dem Baum versteckt. Es braucht dir nicht unangenehm zu sein, ich spreche auch mit ihr.«
Beschämt, dass er nicht nur ihre Worte gehört, sondern sie auch dazu gebracht hatte, ihre innersten Gefühle zu offenbaren, hob Matilda die Röcke und floh. Sie sprang über Grabeinfassungen und rannte zum Tor des Friedhofs, als wären ihr alle Kreaturen der Hölle auf den Fersen. Matilda fühlte sich bloßgestellt und wie eine Närrin. Sie eilte weiter zum Garten des Hauses, wo sie sich hinter dem Schweinestall auf einen umgedrehten Kübel setzte, die Hände vors Gesicht schlug und weinte. Sie hörte Giles’ Schritte, aber diesmal konnte sie keinen Fluchtweg mehr finden.
Er hatte seinen Mantel und seinen Pfarrerskragen im Laufen von sich geworfen, und mit seinem verschwitzten Gesicht sah er eher wie ein Farmer als wie ein Geistlicher aus. »Entschuldige, Matty«, bat er beim Näherkommen. »Ich dachte, du würdest mein Geflüster sofort durchschauen und zu lachen anfangen.«
»Aber warum hast du so etwas überhaupt gesagt, Giles?«, fragte sie und wagte es kaum, ihm ins Gesicht zu sehen.
Er beugte sich zu ihr hinab und hob mit seinem Finger ihr Kinn an. »Weil es die richtige Antwort auf alles ist. Möchtest du meine Frau werden?«
Matilda stockte der Atem. Sie hatte in den Jahren, seit sie für ihn arbeitete, so viele Seiten dieses Mannes kennen gelernt – Dienstherr, Geistlicher, Ehemann und Vater –, und in all diesen Rollen hatte er Integrität und Verständnis für die Menschen und ihre Nöte bewiesen. Hatten die Worte, die sie eben an Lily gerichtet hatte, ihn derart beunruhigt, dass er das Gefühl hatte, ihr die Ehe anbieten zu müssen?
»Sei nicht albern.« Sie schüttelte seine Hand an ihrem Kinn ab. »Es ist keine Antwort auf alles! Du bist erst seit fünf Monaten verwitwet. Du darfst noch nicht einmal daran denken zu heiraten, und außerdem liebst du mich überhaupt nicht.«
Zu ihrer Überraschung lachte er nur, trat zurück und lehnte sich an den Zaun des Schweinegeheges. »Matty, ich habe dich immer geliebt! Vielleicht nicht auf romantische Art und Weise. Ich wäre ein schlechter Pfarrer und Ehemann gewesen, wenn ich den ganzen Tag in verliebter Weise an das Kindermädchen meiner Tochter gedacht hätte. Meine Liebe ist aus Bewunderung erwachsen,
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