Lesley Pearse
habe ich sie nicht verstanden, denn, weißt du, Matty, ich wusste nicht wirklich um die Höhen und Tiefen der Leidenschaft. Doch jetzt verstehe ich!«
»Versuchst du mir zu erzählen, dass dies immer eine illegitime Liebe bleiben wird?«, fragte sie stichelnd. »Ist das Angebot der Ehe zurückgezogen worden?«
»Natürlich nicht, mein Liebling.« Er küsste ihre Nase und lachte. »Ich glaube, du weißt, was ich meine. Ich hatte nicht vor, dich zu verführen, bevor der Ring an deinem Finger steckt. Ich habe nicht einmal an solche Dinge gedacht. Aber jetzt, nachdem wir diesen Schritt bereits gegangen sind, macht es die Sache etwas komplizierter, weil ich weiß, dass ich dich fortan immer an meiner Seite haben will.«
Der Morgen dämmerte bereits, und es regnete nach wie vor noch pausenlos, doch das Gewitter war weiter entfernt, und die ersten Lichtstrahlen hatten den Raum in ein graues Licht getaucht. Giles lehnte sich auf einen Ellenbogen und sah zu ihr hinunter, während er ihre Haarsträhnen aus dem Gesicht strich.
»Nach unserem Gespräch gestern hatte ich mich entschlossen, die kommenden Monate bei Doktor Treagar zu wohnen, um die Sache etwas zu erleichtern und deinen Ruf nicht zu schädigen. Aber das hier hat alles verändert, Matty. Wir müssen sofort heiraten.«
»Aber das können wir nicht!«, protestierte sie. Sein plötzliches Drängen überraschte sie. »Du weißt, was die Leute sagen werden. Es ist mir egal, was sie über mich erzählen, doch es könnte Tabitha zu Ohren kommen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie glaubte, wir beschmutzten das Andenken ihrer Mutter.«
Giles ließ sich neben ihr in die Kissen sinken. Daran hatte er offenbar nicht gedacht. »Was sollen wir also tun? Ich werde nicht einen Tag überstehen, an dem ich dich nicht im Arm halten darf.«
»Ich auch nicht«, gab sie zu. »Aber wir werden es lernen müssen.«
Ein lautes, energisches Klopfen an der Tür weckte sie kurz vor sechs Uhr auf. Giles zog seine Hose an und eilte zur Tür.
Solomon ging ungeduldig auf der Terrasse auf und ab. Er hatte sich eine Plane um die Schultern geschlungen, die ihn vor dem Regen schützen sollte.
»Der Damm am Fluss ist gebrochen«, rief er, als Giles die Tür öffnete. »Ich fürchte, die Leute dort sind ertrunken. Beauftragen Sie jemanden, die Kirchenglocken zu läuten. Ich laufe schon mal zum Fluss.«
Giles und Matilda zogen sich sofort an und eilten wenige Minuten später aus dem Haus. Während Matilda zum Stall lief, um das Pferd einzuspannen, rannte Giles zu Mr. Homberger, um ihn zu bitten, die Glocken zu läuten und jeden, der an der Kirche erschien, zu beauftragen, zum Fluss zu kommen und zu helfen. Als Matilda mit dem Einspänner aus dem Stall kam, sprang Giles auf, übernahm die Zügel und trieb die Pferde zu einem schnellen Galopp an.
Am Ufer blieben sie einen Moment stehen und betrachteten ungläubig die Verwüstung. Der Landungssteg war fortgerissen worden, und matschiges braunes Wasser verteilte sich über das flache Land. Entwurzelte Bäume, Häuserteile, Tische, Stühle und Haushaltsutensilien schwammen an der Oberfläche. Pferde, Ochsen und Schweine strampelten verzweifelt im hohen Wasser, um das trockene Land zu erreichen, und die Hilfeschreie der Menschen waren sogar durch das Prasseln des Regens zu hören. Am schlimmsten anzusehen waren jedoch die vielen Toten, die mit dem Gesicht nach unten und weit ausgestreckten Armen auf dem Fluss trieben – ehemals gesunde Männer, Frauen und Kinder, die so tief geschlafen hatten, dass sie den Sturm nicht gehört hatten und erst recht nicht den Fluss, der lautlos angeschwollen war, bis er über die Dämme gebrochen und in die Häuser eingedrungen war und die Menschen mit sich gerissen hatte.
Als mehr und mehr Leute aus der Stadt auf ihren Pferden und in Kutschen zum Unglücksort kamen, übernahm Giles das Kommando. Ältere Frauen bat er, zum Schulhaus zu gehen und unterwegs möglichst viele warme Decken und trockene Tücher zu sammeln. Die alten Männer erhielten die Aufgabe, die ankommenden Wagen zu koordinieren und Material zu sammeln, aus dem Bahren gefertigt werden konnten. Den Hauptteil der Gruppe beauftragte Giles jedoch damit, am Ufer nach Überlebenden und Toten zu suchen.
»Hol den Doktor, Matty, und dann übernimm das Kommando im Schulhaus«, befahl er. »Wir werden Tücher zum Bandagieren und heißes Wasser benötigen. Du musst alle Daheimgebliebenen dazu bringen, heiße Getränke für die Überlebenden zu
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