Lesley Pearse
Lily zu lachen, und das war vielleicht ein gutes Zeichen.
»Ich denke, ich teile ihre Beunruhigung«, gab Matilda zu. »Aber du hast Recht, Giles, wir müssen diesen Menschen helfen. Wir sollten unbedingt Alice aufnehmen, die Witwe, der nur noch drei Kinder geblieben sind. Du suchst die andere Familie aus.«
Sie sprachen ein paar Minuten darüber, welche Familie es sein sollte, und entschieden sich schließlich für vier schwarze Kinder, die beide Elternteile verloren hatten.
»Wahrscheinlich werde ich in der nächsten Zeit nicht die Chance haben, dir das zu sagen«, meinte Giles, drehte sich zu ihr und berührte ihre Wange »Aber ich liebe dich, Matty. Wenn das alles vorüber ist, werden wir sofort heiraten.«
»Wenn ich das weiß, kann ich alles ertragen«, erwiderte sie.
»Sogar sieben zusätzliche Kinder und eine unordentliche, trauernde Alice?«, neckte er sie.
»Du bittest deinen Gott besser, mir Kraft zu verleihen«, konterte sie mit einem Lächeln. »Ich denke, ich werde sie gebrauchen können.«
13. K APITEL
G iles und Matilda standen auf der Terrasse und winkten, bis die Kutsche mit Alice und ihren drei Kindern außer Sicht war. Es war der Tag nach dem Erntedankfest, und Alice verließ sie heute, um ein neues Leben in St. Louis als Haushälterin einer Witwe mit zwei Kindern zu beginnen. Die vier schwarzen Kinder waren schon vor zwei Wochen von einem baptistischen Geistlichen aufgenommen worden.
»Dank sei dir, Gott, dass sie noch vor Weihnachten gegangen sind«, murmelte Giles in leicht spöttischem Tonfall und blickte zum Himmel auf. »Ein weiterer Monat mit so vielen Kindern, und ich wäre ein alter Mann gewesen.«
»Giles!«, rief Matilda. »Wo ist deine christliche Nächstenliebe geblieben?«
Sie mussten beide lachen, denn sie konnten die Wahrheit nicht verleugnen: Die zwei Monate mit sieben zusätzlichen Kindern und Alice hatten eine harte Prüfung dargestellt. Alices Kinder waren das freie Leben am Fluss gewöhnt und ließen sich nur schwer zu einer häuslichen Routine disziplinieren. Die Hamilton-Kinder waren zwar leichter zu kontrollieren gewesen als Alice’ ungezogene Sprösslinge, aber sie hatten andere Probleme gemacht. Da es in Independence keine Schulen für Schwarze gab, hatte Matilda die vier Kinder den ganzen Tag um sich gehabt. Sogar mit Tabitha war es nicht leicht gewesen, denn sie mochte die Besucher nicht, die all die Aufmerksamkeit auf sich zogen, die sie selbst gewöhnlich erhielt, und sie wollte ihre Spielsachen und Bücher nicht mit ihnen teilen.
Das Haus war völlig überfüllt gewesen. Für alle zu waschen und zu kochen war eine fürchterliche Arbeit, aber als noch schlimmer empfand Matilda die vollständige Abwesenheit von Privatsphäre. Für Giles und sie gab es keine Gelegenheit, sich ungestört zu unterhalten, geschweige denn, einige Zeit allein zu verbringen. Es war eine Qual, sich so nahe zu sein, ohne sich küssen und umarmen zu dürfen. Dabei genügte es, dass sich ihre Hände zufällig streiften oder ihre Blicke sich über dem Esstisch trafen, um ihre Herzen schneller schlagen zu lassen.
Matilda schaute sich einen Moment um und wurde sich plötzlich bewusst, wie schäbig das Haus aussah. Der Holzboden war zerkratzt und voller Flecken, an den Wänden prangten lauter schmutzige Fingerabdrücke, und jedes einzelne Möbelstück sah abgenutzt aus. »Ich habe noch einiges zu tun, wenn ich das Haus wieder so herrichten möchte, wie es einmal war«, bemerkte sie. »Und es wird uns nicht gelingen, all die Dinge zu ersetzen, die zerbrochen sind.«
Viele von Lilys Schätzen waren von den Gästen zerbrochen worden, und einige Decken, Quilts, Tücher und Kochtöpfe hatte Giles an die bedürftigen Familien verschenkt.
»Warte einmal ab«, meinte er tröstend. »Außerdem ist es doch gut für uns, das Haus mit Sachen neu einzurichten, die nur uns gehören.«
»Das stimmt vielleicht«, räumte Matilda ein. Sie fühlte sich seltsam leer und ausgehöhlt, obwohl sie eigentlich erwartet hatte, begeistert zu sein, sobald sie das Haus wieder für sich hatten, und voller Enthusiasmus, alles in Ordnung zu bringen. Doch jetzt wollte sie eigentlich nur noch schlafen.
Giles spürte an ihrem Tonfall, dass etwas nicht in Ordnung war, und sah sie genau an. Sie war vollkommen übermüdet. Ihr Blick wirkte leer, sie war blass, abgemagert, und ihr Haar hatte seinen Glanz verloren. Sogar ihre Schürze war grau, anstatt wie sonst strahlend weiß. Giles musste schuldbewusst zugeben, dass
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