Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
Vom Netzwerk:
geworden. Ihre Pfarrei hieß St. Marks in Primrose Hill, und sie lebten dort im Pfarrhaus. Lily untersuchte Matildas Wunde durch das zerrissene Kleid und bestand darauf, dass sie in der Kutsche mit ihnen nach Hause kam, damit die Wunde ordentlich untersucht und behandelt werden konnte.
    Matilda verstörte dieses Angebot etwas. Es war allgemein bekannt, dass Kirchenleute Barmherzigkeit nur als Vorwand benutzten, um dem Geholfenen die Worte der Bibel aufdrängen zu können. Sie hatte sogar schon von Mädchen gehört, die vergewaltigt worden waren, als sie sich an die Missionare gewandt hatten, die überall in der Rosemary Lane standen und sich über Verdammnis und Höllenfeuer ereiferten. Sie wollte lieber einfach ein paar Shilling bekommen und wieder nach Hause geschickt werden.
    Doch eine kleine Stimme in ihrem Innern sagte ihr, dass sie den beiden besser folgen sollte, denn vielleicht würden sie ihr eine anständige Mahlzeit anbieten oder sogar ein paar alte Kleider.
    Matildas natürliche Zurückhaltung verließ sie in der Kutsche. Ob es daran lag, dass es ihre erste Fahrt in einem Wagen war, oder an Tabithas Lächeln oder den eifrigen Fragen der Milsons nach ihrem Befinden, wusste sie nicht. Plötzlich musste sie weinen.
    »Es tut mir Leid«, wiederholte sie immer wieder, während sie ihr Gesicht in den Händen verbarg. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist.«
    Lily Milson fühlte sich selbst den Tränen nahe, und sie war dem Mädchen für die Rettung ihrer Tochter so dankbar, dass sie mit Matilda fühlte. Sie glaubte, dass diese Begegnung ein Fingerzeig Gottes war, der ihr zeigen sollte, dass ihre gesellschaftliche Stellung im Leben lediglich ein Zufall war und auch sie selbst als eine vom Glück Benachteiligte hätte geboren werden können, anstatt mit einem liebenden Ehemann, einer bezaubernden Tochter und in sauberer und ordentlicher Kleidung in dieser Kutsche sitzen zu dürfen.
    Nicht immer hatte Lily sich vom Glück begünstigt gefühlt. Sie war eines von acht Kindern eines wohlhabenden Holzhändlers in Bristol und war immer schüchtern und ein wenig farblos gewesen. Ihr Vater Elias Woodberry hatte sich nur um das Wohl ihrer fünf Brüder gekümmert, und ihre Mutter, obwohl sie sich all ihren Kindern gegenüber kühl verhalten hatte, hatte ihr stets das Gefühl vermittelt, dass sie sie nicht ausstehen konnte. Ständig hatte sie sich über ihr Aussehen und ihre Geistlosigkeit ausgelassen.
    Mit fünfundzwanzig Jahren war Lily immer noch unverheiratet und ihren Eltern lästig gewesen. Man hatte sie als unbezahlte Gouvernante zu ihrem Onkel geschickt, dem jüngeren Bruder ihres Vaters, einem verarmten Pfarrer in Bath. Doch Lily empfand diesen Aufenthalt keineswegs als Strafe – ihr Onkel Thomas war ein freundlicher Mann und seine Frau Martha liebevoll und dankbar für jede Hilfe bei ihren fünf lebhaften Kindern. In ihrem Haus zählte Lilys Meinung erstmalig etwas, und man suchte ihre Gesellschaft. Sie wurde nie gedemütigt. Tante und Onkel lobten ihre freundliche Art, waren stolz auf ihre Bildung und freuten sich an ihrer Begeisterung über die Kinder. Lily lebte auf.
    Dort traf sie auch Giles zum ersten Mal, der damals Hilfspfarrer ihres Onkels war. Er war mittellos, aber als sie das erste Mal in seine dunklen, beseelten Augen schaute, war es um sie geschehen. Er war ein wahrer Humanist und hatte die Kirche dem Militär vorgezogen, weil er fest davon überzeugt war, seine Aufgabe sei es, den Armen und Bedürftigen zu helfen.
    Es war der glücklichste Tag ihres Lebens, als Giles um ihre Hand anhielt. Er wandte ein, ihr nichts bieten zu können. Selbst wenn er jemals eine eigene Pfarrei führen dürfe, könne er ihr nie den Luxus ermöglichen, in den sie hineingeboren war. Nur seine Liebe konnte er ihr anbieten. Das war jedoch alles, was Lily wollte. Kurz nach ihrer Hochzeit, die ihr Vater mit beinahe unangemessener Schnelligkeit ausrichtete, wurden sie nach St. Marks in London geschickt, wo Giles den kranken und verwitweten Pfarrer Hooper vertreten sollte. Nach dessen Tod ein Jahr später übernahm er die kleine Pfarrei.
    Lily empfand ihr Leben als Pfarrersfrau als eine Herausforderung. Die Kranken der Gemeinde zu besuchen, Sonntagsunterricht für die Kinder zu organisieren und die Reicheren zur Wohltätigkeit aufzurufen, waren keine lästigen Pflichten, sondern eine Freude, die sie ausfüllte. Die Eigenschaften, die ihre Eltern an ihr abgelehnt hatten, brachten ihr hier Zuneigung, Respekt und ein gewisses

Weitere Kostenlose Bücher