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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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all des Leidens hatte sie jedoch auch viele gute Dinge erlebt. Niemals zuvor hatte sie so viel persönliche Freiheit genossen. Die Einschränkungen des Lebens als Dienstmädchen sowie der ständige Zwang, sich dennoch wie eine Dame zu benehmen, waren verschwunden. Sie sagte, was ihr in den Sinn kam, und brauchte ihre Meinung nicht mehr hinter schönen Worten zu verbergen. Sie stand inzwischen in dem Ruf, ausdauernd und stark zu sein, und sie spürte, dass man sie ebenfalls ihrer Intelligenz, ihres Wissens und ihrer Freundlichkeit wegen bewunderte. Obwohl sie nicht die Absicht gehabt hatte, während der Reise Freunde zu finden, hatten sie sich von ganz allein eingestellt. Jetzt, da ihre Niederkunft so kurz bevorstand, waren ihre Wassereimer wunderbarerweise immer gefüllt, und oft fand sie kleine Geschenke wie Beeren, Suppe, Fleisch und Brot vor ihrem Wagen.
    Doch von allen Freundschaften, die entstanden waren, empfand sie die zwischen ihr und Captain Russell als die intensivste. Manchmal erschien es ihr sonderbar, dass ein Mann, der sie anfangs so verunsichert und verärgert hatte, ein so wertvoller Begleiter hatte werden können. Doch er hatte seine Sorge um sie so lange hinter Sarkasmus und Unverschämtheiten versteckt, dass sie erst später seine wahre Natur hatte erkennen können.
    Gegenüber Dummheit und Engstirnigkeit mochte er intolerant sein, aber dennoch hatte er großes Verständnis für menschliche Schwächen. Seine Ansichten über die Bedürfnisse der Armen und Unterdrückten ähnelten denen von Giles sehr, und er war genauso wissbegierig, wenn es um andere Menschen ging, wie sie selbst. Er war hochintelligent und gebildet, aber er hatte trotzdem die Fähigkeit, sich mit Leuten, die anders waren, zu unterhalten. Er war der geborene Anführer, dem jeder Respekt und Bewunderung zollte.
    An den meisten Abenden besuchte er Tabitha und Matilda, und ihre Gespräche waren sehr offen. In einer Nacht berichtete er ihr von seiner Kindheit in Virginia, von seinem Vater, der Menschen lediglich nach ihrem Besitz und der Anzahl ihrer Sklaven bewertete, und seiner Mutter, die sich mehr für Bälle und die neueste Mode aus Frankreich als für ihren Sohn interessierte.
    Als er ihr erzählte, dass seine Familie ihn nach der Hochzeit enterbt hatte und Belle im Kindbett gestorben war, verstand Matilda endlich die Bitterkeit dieses Mannes und warum er seiner eigenen Klasse den Rücken gekehrt hatte.
    Sie berichtete von ihrer Kindheit in England, und sein Interesse für ein Leben, das seinem eigenen so unähnlich war, war so groß, dass sie sich dabei ertappte, wie sie ihm lebhaft alltägliche Szenen aus London beschrieb, die ihn zum Lachen brachten. Matilda erzählte auch, wie sie als Kindermädchen nach Amerika gekommen war, aber da er nicht nach ihrem »Mann« fragte und wie sie schließlich in Missouri gelandet war, ließ sie diese Stelle ihrer Geschichte offen.
    Ein paar Tage später rasteten sie an einer wunderschönen Stelle. Es war ein weites, blumenübersätes Bergplateau, das von hohen Tannenbäumen umgeben war und durch das ein kleiner Bach plätscherte. Die Reisenden hatten die Tiere von ihrem Zaumzeug befreit, und die Kinder nutzten die Spätnachmittagssonne aus, indem sie Fangen und Verstecken spielten, während ihre Mütter das Abendessen zubereiteten.
    Matilda kochte einen Kanincheneintopf mit Kartoffeln, die sie mit wilden Kräutern in ihrem kleinen Ofen röstete. Sie hatte das Kaninchen am Vortag selbst geschossen, und sein Fell lag bereits in der Sonne zum Trocknen. Später würde sie es mit den vielen anderen Fellen zu einer Decke zusammennähen. Während der Eintopf auf dem Feuer köchelte, lüftete Matilda die Decken und die Matratze.
    Später spazierte Captain Russell an ihrem Wagen vorbei. Er hatte ganz offensichtlich im Bach gebadet, denn sein blondes Haar war noch feucht, und er trug ein sauberes Hemd. »Es duftet köstlich«, bemerkte er und beugte sich anerkennend über den Topf.
    »Bleiben Sie doch, und essen Sie mit uns«, meinte sie und stach in die Kartoffeln. »Es ist fast fertig, und wir haben genug für drei.«
    Er lächelte, und seine Augen strahlten erfreut. »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte er. »Aber ich bin nicht gekommen, um mich einladen zu lassen, sondern um Ihnen zu sagen, dass wir bald den Ort The Dalles erreichen. Ich habe arrangiert, dass Sie mit dem ersten Kanu mit Carl mitfahren und den Columbia River überqueren können. Von dort können Sie auf direktem Wege

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