Lesley Pearse
Matilda.
»Wahrscheinlich hat Maria die Stelle nur angenommen, um Henry um den Finger zu wickeln«, räumte die Comtesse gleichgültig ein. »Er führt eine kalte, kinderlose Ehe, und solche Männer sind leichte Beute. Maria und Mrs. Slocum sind sich eigentlich sehr ähnlich. Geld ist ihre Hauptmotivation.«
Matilda war überrascht, dass die Comtesse den persönlichen Namen ›Henry‹ verwendete und seine Ehe so scharfsinnig analysieren konnte. Die Frau erschien ihr immer interessanter.
»Ich habe versprochen«, fuhr die alte Dame fort, »Maria eine Chance zu geben, doch ich bezweifle, dass sie längere Zeit bleiben wird. Ich mag diese Kälte bei meinen Mädchen nicht, selbst wenn sie so wunderschön sind wie Maria.«
»Sie klingen, als führten Sie eine Schule für junge Damen«, platzte Matilda heraus. Sie wusste nicht, auf wen sie ihre Wut richten sollte. Auf Maria, Alicia, Henry oder vielleicht auf sich selbst, da sie ungefragt ihre Nase in Dinge gesteckt hatte, die sie nichts angingen. Die Comtesse war die Einzige, an der sie ihren Zorn auslassen konnte. »Aber Sie machen sie nur zu Huren, Sie stürzen sie ins Verderben.«
»Ich nicht«, widersprach die Comtesse und spitzte die Lippen. »Die Mädchen, die zu mir kommen, sind keine Jungfrauen. Sie arbeiten freiwillig für mich und führen hier gewöhnlich ein viel besseres Leben als das, dem sie entfliehen. In meinem Salon verkehren nur ausgesuchte Gäste, und jenseits dieses Hauses klafft ein jäher Abgrund zu Bordellen, denen es nur um ein schnelles Geschäft geht, bis hin zu den Straßenhuren, die nicht einmal ein Dach über dem Kopf haben. Meine Mädchen sind sich dessen bewusst. Hier haben sie eine reelle Chance, ein gutes Leben zu führen und ihr Geld zu sparen. Ich erinnere sie alle immer wieder daran, an ihre Zukunft zu denken und Vorkehrungen zu treffen. Manche hören auf mich, andere nicht. Da kann ich nichts machen.«
Matilda war jetzt noch mehr verwirrt. »Aber es ist fürchterlich, dass sie ihren Körper verkaufen müssen, um überleben zu können.«
»Ich stimme Ihnen zu«, sagte die Comtesse, »zumindest prinzipiell. Die Mädchen, denen keine Wahl gelassen wird, haben wirklich mein Mitleid. Es gibt viele junge Frauen, die von ihren Dienstherren und Familienangehörigen missbraucht werden. Viele tun es, um nicht zu verhungern, und andere, damit sie den Arzt für ihre kranken Kinder bezahlen können. Manche werden sogar gezwungen oder verkauft. Aber lassen Sie mich Ihnen die ganze Wahrheit erzählen. Nicht alle Prostituierten sind unschuldige Opfer, und es gibt erstaunlich wenige, die aus purer Verzweiflung zur Hure werden. Viele meiner Mädchen sind – wie die Männer auch – nach Kalifornien gekommen, um Abenteuer zu erleben. Manche sind schlicht und einfach zu faul, einen Job anzunehmen, in dem sie hart arbeiten müssen. Andere wiederum hoffen, auf diese Weise einen Ehemann zu finden. Viele sind nur auf das Geld aus, und einige werden zu Prostituierten, weil sie Sex lieben. Denken Sie etwa, die Männer hätten ihre Freude hier, wenn die Mädchen alle unwillig wären? Hier wird jeden Abend gefeiert, der Pianist spielt, und meine Mädchen tanzen und singen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich nicht so viel Erfolg.«
»Aber die Männer«, protestierte Matilda.
Die Comtesse lachte. »Sie waren nur wenige Tage in der Stadt, Mrs. Jennings, doch wie ich gehört habe, haben Sie für eine Menge Gesprächsstoff gesorgt. Und warum? Weil Sie jung und hübsch sind und, wie man mir sagte, sehr unterhaltend.«
»Aber wie kommen Sie in diesem Zusammenhang nun auf mich?«, fragte Matilda. Sie war erstaunt, dass die Frau so viel über sie wusste.
»Weil Sie, meine Liebe, genau das verkörpern, was sich ein Mann von einer Frau erhofft. Ich will gar nicht behaupten, dass alle Männer, die Sie in der Stadt getroffen haben, Sie begehren. Ganz im Gegenteil. Vielen Männern, die ihre Mädchen und Ehefrauen tausende von Meilen zurückgelassen haben, genügt es, jemanden wie Sie zu treffen und Sie zu bewundern. Doch es gibt auch solche, deren Bedürfnisse etwas über ein nettes Lächeln und einen kleinen Plausch hinausgehen. Diese Männer kommen zu mir. Wenn ein Mann viele Wochen hintereinander bis zur Hüfte im eiskalten Wasser verbracht hat, sein Zelt vom Wind immer wieder fortgerissen wurde und ihn nur noch der Traum von großen Reichtümern aufrechterhält, braucht er dann und wann eine Pause. Oft gibt es ihm neuen Antrieb, nur für wenige Stunden den
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