Lesley Pearse
du darauf anspielen solltest.«
Cissy entschuldigte sich wie gewöhnlich nicht. Genauso selten bedankte sie sich dafür, dass Matilda die Angelegenheiten ihres Mannes für sie in Ordnung brachte.
Matilda hatte kleine Stoffpuppen für Amelia und Susanna gekauft, Peter bekam einen Zinnsoldaten und Tabitha ein Buch über Medizin. Sidney hatte sein Paket, das ein wollenes Hemd enthielt, bereits auf der Fahrt nach Hause geöffnet.
»Komm schon, öffne deines!«, überredete sie Cissy und nahm ihr Amelia vom Arm.
»Ich habe kein Geschenk mehr bekommen, seitdem ich John kennen lernte«, bemerkte Cissy und war plötzlich den Tränen nah. »Er hat mir damals ein Paar rote Handschuhe geschenkt.«
Sie schnappte nach Luft, als sie ihr Päckchen ausgepackt hatte. Darin befand sich ein smaragdgrünes Kleid aus Wolle, dessen Oberteil mit kleinen Perlmuttknöpfen versehen war. Sie hielt es sich vor den Körper, und Tränen schossen ihr in die Augen. »Oh, Matty! Es ist wunderschön und meine Lieblingsfarbe. Wo hast du es gekauft?«
»Ich habe es für dich nähen lassen«, antwortete Matilda. »Bei einem Schneider in der Stadt. Ich habe dein Sonntagskleid als Muster für die Maße genommen. Zieh es doch an, und schau nach, ob es dir passt.«
»Was ist denn in diesen Päckchen?«, fragte Cissy und zeigte auf die anderen beiden auf dem Bett.
»Das eine ist Amelias Geburtstagsgeschenk. Ich verrate dir nicht, was drin ist, du musst noch bis übermorgen warten. Das andere ist das Kleid, in dem ich Giles heiraten wollte. Ich habe es ändern lassen, weil ich denke, ich brauche etwas Modischeres, falls ich Mrs. Slocum noch einmal begegne.«
»Lass sie uns gemeinsam anprobieren!«, schlug Cissy vor.
Die Kinder lachten und klatschten in die Hände, als die Frauen die Kleider anzogen. Cissys Kleid war etwas zu weit, weil sie immer noch viel dünner als früher war, aber sie sah dennoch bezaubernd darin aus. Matildas blaues Hochzeitskleid hatte jetzt einen tieferen Ausschnitt und war hinten elegant gerafft. Es passte ihr perfekt und betonte ihre schmale Taille.
»Sehen wir nicht aus wie zwei feine Damen?«, rief Cissy und stolzierte mit einer Hand auf der Hüfte durch die Hütte. »Wenn ich das in meiner Zeit in New York bereits besessen hätte, hätte ich tatsächlich in einem Salon arbeiten können.«
Einen Monat später, es war Anfang Oktober, stand Matilda am Kai in San Francisco und beobachtete, wie die letzten Holzstämme fortgefahren wurden. Ihre kleine Handtasche, die sie fest ums Handgelenk gebunden hatte, war voller Bankwechsel, und obwohl es in Strömen regnete, war sie überglücklich.
Es war ein berauschendes Gefühl, in der von Männern dominierten Welt erfolgreich bestanden zu haben und die bewundernden Gesichter der Geschäftsleute zu sehen. Alle würden ihr neue und wahrscheinlich größere Aufträge erteilen. Allerdings war nicht sie es, die sie ausführen würde – Cissy hatte ihr bei ihrer Abreise eröffnet, das Sägewerk verkaufen zu wollen.
Auf ihrer langen Reise nach San Francisco hatte Matilda sich wieder und wieder gefragt, was Cissy zu diesem Entschluss bewogen hatte. Zuerst hatte sie vermutet, sie könnte die schmerzhaften Erinnerungen an John nicht ertragen, aber jetzt war sie sich dessen nicht mehr so sicher. Danach zu urteilen, wie sie Matilda nie für ihre Mühen dankte und sie wie eine arme Verwandte behandelte, war eine andere Antwort wahrscheinlicher. Offenbar wollte sie nicht, dass Matilda das Sägewerk leitete, weil für sie selbst in diesem Fall nur noch die Rolle der Haushälterin blieb.
Am letzten Abend in Oregon hatte sie angekündigt, mit den Kindern in die Stadt ziehen und ein kleines Geschäft eröffnen zu wollen. »Dafür muss man gut schreiben und rechnen können«, wollte Matilda zunächst einwenden, doch dann schwieg sie. Auch wagte sie nicht zu fragen, ob sie für sich und die Kinder ein neues Zuhause suchen sollte.
Aber sie würde jetzt nicht weiter über Cissy nachdenken, entschied sie. Es war fast fünf Uhr abends, und sie ging geradewegs zu Zandras Salon. Dolores öffnete ihr die Tür und begleitete sie durch den großen Hauptraum in Zandras kleines Wohnzimmer.
Matilda hätte einen so wunderschönen Raum nicht erwartet. Er war blau und cremefarben ausgestattet. Die Möbel sahen sehr zerbrechlich aus und kamen sicher aus Frankreich. Es gab eine Menge Bücher und kleine Bilder, doch war der Raum nicht nach der neuesten Mode mit aufwändigen Ornamenten überladen. Matilda
Weitere Kostenlose Bücher