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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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guter Vater mehr.
    Diese Erkenntnis hatte ihn an diesem Tag früher nach Hause kommen lassen. Er wollte mit ihnen ausgehen, Matilda einen neuen Hut, den Jungs neue Hemden und Schuhe kaufen und sie abends über den Fluss zu den Vauxhill Gardens fahren, wo sie sich gemeinsam amüsieren konnten.
    Aber als er heimgekommen war, war Matilda wie ein Dienstmädchen aufgemacht und hatte ein Angebot, auch als solches beschäftigt zu werden. Die Jungen hatten sich den ganzen Tag nicht blicken lassen.
    »Mach dir um die Kinder keine Sorgen«, erwiderte er vorsichtig. »Sie sind mein Problem, nicht deines. Wenn der Pfarrer ein anständiger Mann ist, musst du zu ihnen gehen.«
    »Aber ich werde dich vermissen, Vater!« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Lucas’ wurden die Knie weich. Matilda war der einzige Mensch in seinem Leben, der ihm wirklich etwas bedeutete. Sie war eine lebende Erinnerung an ihre Mutter und an das Glück, das sie miteinander geteilt hatten. Wenn er abends nach Hause kommen würde und Matilda nicht da wäre, würde ihm der Lebenssinn entzogen. Dennoch wusste er, dass es egoistisch wäre, sie zum Bleiben zu zwingen. Er durfte nur an sie und ihr zukünftiges Glück denken.
    »Ich werde dich auch vermissen«, gestand er, wobei ihm sogar ein Lächeln gelang. »Aber mir ist es lieber, wenn ich dich nicht mehr bei mir habe, als dass du dein Leben lang durch die Straßen ziehen musst, um Blumen zu verkaufen.«
    Matilda warf sich ihm in die Arme und weinte. Lucas wünschte, er könnte seine Gefühle besser ausdrücken. Er liebte alle seine Kinder. Als sie noch Babys gewesen waren, hatte er sie gefüttert, und wenn sie krank gewesen waren, war er nachts mit ihnen den Flur auf und ab gelaufen. Obwohl er James und John aller Wahrscheinlichkeit nach nie wiedersehen würde, waren sie noch immer in seinem Herzen. Doch für Matilda fühlte er etwas anderes. Er hatte Angst um sie. Allein der Gedanke, jemand könnte sie schlecht behandeln, drehte ihm den Magen um. London war so gefährlich – die vielen Ginkneipen, Bordellmütter, die nach unschuldigen Gesichtern Ausschau hielten, um sie ins Verderben zu stürzen, und die jungen Gentlemen auf der Suche nach unschuldigen Verführungsopfern … Wie sollte er aber Matilda vorwarnen, ohne ihr Angst zu machen und ihre Gedanken zu beschmutzen?
    »Deine Mutter würde wollen, dass du das Angebot annimmst«, murmelte er ihr ins Haar, dessen sauberer Geruch ihn eindrücklich an Nell erinnerte. »Sie wäre so stolz auf dich.«
    Matilda spürte seinen Konflikt und liebte ihn noch mehr, weil er so stark war. »Wirst du am Sonntag mit mir kommen?«, flüsterte sie.
    »Natürlich werde ich das«, gab er leise zurück. »Ich werde meine Stiefel polieren und ein sauberes Hemd anziehen. Und wenn mir das Gesicht des Pfarrers nicht passt, nehme ich dich wieder mit nach Hause.«
    Am Sonntagmorgen wachte Matilda mit dem Läuten der Kirchenglocken auf. Sie war vergangene Nacht in dem glücklichen Bewusstsein zu Bett gegangen, dass dies ihr letzter Tag im Finders Court gewesen war. Doch als sich jetzt der erste zögerliche Sonnenstrahl einen Weg zu ihrem Bett suchte und sie wusste, dass sie all dies zum letzten Mal sah, hatte sie plötzlich große Angst und war nicht mehr sicher, ob sie wirklich fortgehen wollte.
    Für die Milsons mochte sie nur ein Blumenmädchen sein, aber hier wurde sie mit Respekt behandelt. Ihre Schulbildung setzte sie von den anderen ab. Die Leute kamen oft zu ihr und baten sie, ihnen vorzulesen oder etwas für sie zu schreiben, und das hatte Matilda immer ein gutes Gefühl gegeben. Hier lebten auch Menschen, an die sie sich in Not wenden konnte. Viele Nachbarn erinnerten sich noch mit Zuneigung an ihre Mutter und sahen zu ihrem Vater auf. An wen würde sie sich in Primrose Hill wenden können?
    Sie lauschte dem ruhigen Atem ihres Vaters und ihrer Brüder und rief sich in Erinnerung, dass sie in der kommenden Nacht allein schlafen würde. Es würde dort keine Ratten, Mäuse, Wanzen und Läuse geben. Sie würde nie wieder hungrig sein, durchlöcherte Stiefel tragen oder stundenlang auf vereisten Straßen stehen müssen, bis sie das Gefühl in Händen und Füßen verloren hätte. Vielleicht würde Mrs. Milson hart zu ihr sein, bis sie sich angepasst hatte, und auch die Idee, sich mit der Bibel auseinander setzen zu müssen, gefiel Matilda nicht besonders gut. Doch all dies konnte nicht schlimmer sein, als um vier Uhr aufzustehen und zum Covent Garden Markt gehen zu

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