Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
Vom Netzwerk:
London Lil’s an einem Samstagabend. Viele der Männer waren direkt aus den Bergen gekommen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Sie hatten nicht einmal Zeit gehabt, den Staub von ihrer Kleidung zu klopfen. Seemänner, Soldaten, Lastenfahrer, Stauer und Zimmermänner sowie eine Menge Kaufleute und Würdenträger der Stadt waren gekommen. Es war seltsam, Zandras frühere Bewohnerinnern und viele Straßenmädchen, mit denen sie sich angefreundet hatte, ordentlich gekleidet und ungeschminkt in der Kirche zu sehen. Als Matilda ein paar Worte darüber sagte, was Zandra ihr persönlich bedeutet hatte, blieb kaum ein Auge der Versammelten trocken. Während der Sarg aus der Kirche getragen wurde, spielte der Organist ein lebhaftes russisches Volkslied, und nach der Beerdigung gingen alle ins London Lil’s, wo die Getränke aufs Haus gingen.
    An diesem Abend war Matilda zum ersten Mal betrunken. Sie nahm eigentlich nie mehr als drei Getränke an einem Abend zu sich. Diese Regel hatte sie sich selbst auferlegt, als sie damals eröffnet hatten, und bislang hatte sie sich auch strikt daran gehalten. Aber an diesem Abend vergaß sie alle Einschränkungen.
    Henry Slocum stand neben Sidney und beobachtete Matilda, die mit einem Mann nach dem anderen tanzte. Er spürte, dass ihr ungewöhnliches Verhalten den jungen Mann betrübte. »Zandra hätte sich ihren Abschied genauso gewünscht«, meinte er, um Sidney zu trösten. »Sie war kein Mensch für traurige Verabschiedungen.«
    Sidneys neue Position als Matildas Assistent und Zandras Einfluss hatten dem jungen Mann ein makelloses Erscheinungsbild verliehen. Mit seinem roten Haar, den hellen Wimpern und seinen Sommersprossen konnte man ihn zwar nicht als hübsch bezeichnen, aber durch die schwere Arbeit im Sägewerk war er groß und muskulös geworden. Seine gelbbraunen Augen und sein freundliches Lächeln machten ihn sehr anziehend. Zandra hatte das Schneiden seines Haares beaufsichtigt und ihm eine dunkelgrüne Jacke ausgesucht sowie eine Weste, die mit Goldbändern durchwirkt war. Sie hatte ihn auch gelehrt, ein Halstuch stilvoll zu binden. Er klang und sah aus wie ein Gentleman und besaß eine außergewöhnliche innere Gelassenheit, sodass die meisten Menschen ihn auch für einen hielten.
    »Ich denke, ich sollte Matty zu Bett bringen«, erklärte Sidney und runzelte die Stirn. »Zandra mag ja einen lustigen Abschied durchaus würdigen, aber ich bin nicht sicher, ob Matty so glücklich sein wird, wenn sie morgen das Stadtgespräch sein wird.«
    »Lassen Sie sie, mein Sohn«, riet Henry und legte dem Jungen eine Hand auf den Arm. »Sie ist heute unter Freunden und muss einmal aus sich herausgehen. Sie hat sich nie einen Deut um die Meinung der Leute gekümmert.«
    Sidney hatte selbst auch einige Drinks zu viel genommen, und Henrys letzte Bemerkung machte ihn wütend, weil er wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprach. »An dieser Stelle irren Sie«, platzte er heraus. »Es kümmert sie sogar sehr. Aber schließlich kennt keiner in der Stadt sie so gut wie ich.«
    Henry hob eine Augenbraue. Er hatte keine Vorstellung, welchen Platz Sidney in Matildas Vergangenheit einnahm. Sie hatte ihn im vergangenen September einfach als ihren neuen Assistenten vorgestellt. »Wirklich? Man sollte doch meinen, dass ein so alter Knabe wie ich sie besser kennen muss als ein junger Mann wie Sie.«
    Der leicht spöttische Tonfall des älteren Mannes erboste Sidney noch mehr. »Sie kennen sie erst seit ein paar Jahren, das ist alles. Ich war acht, als sie mich und ein paar andere Kinder aus dem schlimmsten Slum in New York rettete. Sie war der erste Mensch, dem ich vertraut habe, und ich würde jederzeit bereitwillig mein Leben für sie opfern.«
    Henry hatte getrunken, denn auch er hatte eine gute Freundin verloren. Doch dieser überraschende Ausbruch ließ ihn sich plötzlich wieder nüchtern fühlen. »Matilda hat Sie gerettet? Nun, mein Sohn, das ist eine höchst interessante Aussage. Ich bewundere Matty mehr als jede andere Frau, die ich je getroffen habe, und ich würde sehr gern mehr über sie erfahren.«
    Sidney war froh, dass ihm der Mann zuhören wollte. Seitdem er im London Lil’s arbeitete, hatte es ihn oft irritiert, dass die Menschen Matilda als hart und kalt empfanden. Er hatte sogar einmal über sie sagen hören, ihre Liebe gelte nur dem Geld. »Verraten Sie mich aber bloß nicht, wenn ich Ihnen davon erzähle«, bat er. »Sie würde mich hängen und vierteilen.«
    Er beschrieb

Weitere Kostenlose Bücher