Lesley Pearse
schäme mich, zugeben zu müssen, dass ich das Spiel nur mitgemacht habe, weil sie die Tochter des Colonels war. Ich habe mir selbst vorgemacht, sie zu lieben, weil sie wichtig für meine Karriere war.«
»Du musst versuchen, damit zu leben«, entgegnete sie. »Wenige Ehen werden aus Liebe geschlossen, und auch andere Männer müssen mit einer solchen Situation zurechtkommen. Sie vergraben sich in der Arbeit. Du kannst froh sein, dass deine dich oft so weit wegführt.«
»Hoffen wir, dass sie mich immer zu dir zurückbringen wird.«
Matilda kämpfte die Tränen zurück. Sie wollte so viel mehr als die gestohlenen Momente, die sie miteinander teilten. Sie wollte jeden Tag mit ihm verbringen, ihn ohne Schande und Betrug lieben und geliebt werden. Ihr Geschäft bedeutete ihr auch nichts mehr, sie würde jetzt mit Freude seine Hemden in einem Bach waschen und das Essen über dem offenen Feuer kochen. Doch das konnte sie ihm nicht gestehen, denn dann würde er womöglich seine Karriere aufgeben und alles verlieren. Sie musste ihm Stabilität verleihen, ihn lieben und ehren, damit er seinen Idealen treu blieb. Das war die einzige Möglichkeit.
Sie küsste ihn, und er legte sie auf das Gras und liebte sie. Als er in sie eindrang, sich ihr Kleid in der Brise aufbauschte und um sie herumflatterte, erinnerte sie sich an die Paare, die sie als kleines Mädchen in den Londoner Parks gesehen hatte. Sie hatte damals immer angenommen, diese Frauen seien Huren, aber vielleicht waren auch sie nur gewöhnliche Menschen wie sie gewesen, die der Wirklichkeit für einige Momente hatten entfliehen wollen.
Am nächsten Morgen stand Matilda an Deck ihres Dampfers nach Oregon und winkte Sidney zum Abschied zu, der am Kai auf das Auslaufen des Schiffes wartete. Tränen rannen ihre Wangen herunter. James war beim ersten Lichtstrahl nach einer Nacht voller Liebe fortgegangen. Sie hatten beim Abendessen Wein getrunken, waren in den Gastraum hinuntergegangen und hatten einige Gläser Champagner genommen, während sie der Show zugesehen hatten. Zum ersten Mal scherten sie sich nicht darum, wer sie zusammen sehen könnte. Henry Slocum stieß später zu ihnen, und Matilda tanzte mit beiden Männern genauso gewagt wie bei Zandras Beerdigungsfeier. Später brachte James sie nach oben, zog sie aus, löste ihr Haar und liebte sie mit solcher Raserei, dass sie Raum und Zeit vergaß.
Doch sie musste jetzt an die Zukunft denken und sich dem Gedanken stellen, dass James vielleicht nie ein Teil dieser Zukunft sein würde. Der Urlaub bei Cissy und den Kindern stand ihr bevor, genau wie die Aufregung, Amelia mit sich nach Hause zu nehmen. Am vergangenen Abend hatte Henry erklärt, dass die Häuser, die momentan am South Park gebaut wurden, genau das Richtige für sie wären. Es war eine schicke Gegend in der Nähe der besten Schule und überdies ein sicherer Ort für Kinder. Vielleicht würde sie sogar ihren Anteil an London Lil’s verkaufen und nur noch für ihre Tochter da sein.
»Mama, Mama!«, rief Amelia, befreite sich aus Cissys festem Griff und rannte auf ihre Mutter zu, die gerade die Laufplanke der Fähre nach Oregon City herablief.
Matilda ließ ihre Tasche fallen und fing sie in den Armen auf, während Freudentränen ihre Wangen herunterströmten. »Mein Liebling«, murmelte sie und bedeckte ihr kleines Gesicht mit Küssen.
»Warum weinst du?«, fragte Amelia und wischte mit ihren rundlichen Fingern die Tränen ihrer Mutter fort. »Tante Cissy hat gesagt, du würdest dich darüber freuen, wie groß ich geworden bin.«
»Ich freue mich auch«, antwortete Matilda. »Ich bin die glücklichste Frau der ganzen Welt.«
Cissy, Susanna und Peter stürmten auf sie zu, um sie ebenfalls zu umarmen, und sie redeten alle gleichzeitig. Cissy versuchte, ihr von der bevorstehenden Hochzeit mit Arnold in einem Monat zu erzählen, Peter fragte nach Sidney, Susanna wollte in ihrem neuen Kleid bewundert werden, und Amelia rief ihr zu, dass sie extra für sie einen Kuchen gebacken hatten und Tabitha zu Besuch kommen würde.
»Einer nach dem anderen«, meinte Matilda und lachte, als sie Amelia absetzte, um sie alle nacheinander zu begrüßen und zu küssen. »Wir haben so viel Zeit.«
Es war ein warmer, sonniger Nachmittag, und als sie nach Hause liefen, spürte Matilda die Vorfreude, die sie immer ergriff, wenn sie zu Besuch hier war. Heute Abend und den gesamten morgigen Tag würde es chaotisch sein, weil alle sie mit den wichtigsten Neuigkeiten
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