Lesley Pearse
und Cissy begann, ihrer Freundin von dem Besuch zu erzählen.
»Ihre Hütte sah scheußlich aus«, erklärte sie und verzog angewidert das Gesicht. »Der Boden war schmutzig, es gab keine Fenster, und sie hatten nicht einmal einen Ofen. Ich wäre am liebsten sofort wieder nach Hause gefahren.«
Matilda lächelte amüsiert. Cissy war in den letzten Jahren bemerkenswert damenhaft geworden. Sie hatte sich erfolgreich darum bemüht, ihre Sprache zu verbessern, und las manchmal sogar Anleitungen zu gutem Benehmen.
»Aber was mich eigentlich gestört hat, war ihr Verhalten. Sie sind faul und haben keinerlei Mühe darauf verwendet, sich ein wenig nett einzurichten. Martha hat mir mit ihren vielen Kindern wirklich Leid getan, sie sah krank und erschöpft aus. Ich glaube, sie hat nicht einmal genügend Milch für das Baby, denn es hat die ganze Zeit geschrien. Zum Glück hatten wir genügend Essen dabei, denn sie hatten nichts außer Reis und Bohnen. Die armen Kinder waren so verwahrlost! Schmutzige Windeln lagen einfach in einem Eimer herum, und die Töpfe und Pfannen hätten alle einmal ordentlich geschrubbt werden müssen.«
»Dann erscheint dir dein eigenes Haus heute sicherlich wunderbar?«
»Oh, Matty, allerdings!« Cissy strich sich nervös durch die Haare. »Letzte Nacht haben wir auf dem Fußboden geschlafen, aber ich konnte kein Auge zutun, weil ich die ganze Zeit daran denken musste, was wohl alles über den Boden krabbelte. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr an den Keller in New York gedacht, doch plötzlich kam all dies im Dunkeln zu mir zurück.«
Matilda sah bald, dass ihre Freundin durch den kurzen Besuch stark angegriffen war. In den kommenden zwei Tagen beschäftigte sie sich damit, Wäsche zu waschen, den Boden zu scheuern und die Fenster zu putzen, als hinge ihr Leben davon ab.
In der dritten Nacht nach ihrer Heimkehr schrie Amelia nach ihrer Mutter, weil sie Bauchschmerzen hatte. Matilda setzte sie auf den Nachttopf und war beunruhigt, denn ihr Stuhl war viel zu flüssig. Aber da Amelia sofort wieder einschlief, dachte sie, es hätte sich nur um eine kleine Verstimmung gehandelt, und ging ebenfalls wieder ins Bett.
Früh am nächsten Morgen rannte Susanna in den Garten zur Toilette, hielt sich den Bauch und rief ein paar Sekunden später nach Cissy. Sie hatte es nicht mehr rechtzeitig dorthin geschafft und schämte sich, weil sie sich beschmutzt hatte. Kurz darauf weinte Amelia in ihrem Zimmer laut auf, weil auch ihr ein Missgeschick passiert war.
Cissy und Matilda steckten die beiden ins Bett, denn ihre Bauchschmerzen hörten nicht auf. Doch erst als sich Cissy später am Tag über eine Magenverstimmung und Schmerzen in den Beinen beklagte, benachrichtigte Matilda den Arzt. Er war gerade auf Krankenbesuch, aber seine Frau versprach, ihn gleich nach seiner Rückkehr zu ihnen zu schicken.
In den vier Stunden bis zum Eintreffen des Doktors wurde Matilda klar, dass sie unter etwas sehr viel Ernsterem als einer kleinen Magenverstimmung litten. Alle drei waren durstig und klagten über Schmerzen im Bauch und in den Beinen. Aber Amelia ging es am schlechtesten. Sie erbrach das Essen vollständig, weinte herzerweichend und lag gekrümmt auf ihrem Bett, unfähig, die Beine auszustrecken.
Cissy versuchte, aufzubleiben und beim Versorgen der Kinder zu helfen, aber sie krümmte sich vor Schmerzen, und Matilda überredete sie, sich hinzulegen. Als Vorsichtsmaßnahme trug sie Peter auf, unten zu bleiben.
Dr. Shrieber entschuldigte sich für sein spätes Kommen. Er hörte Matildas Beschreibungen der Symptome genau zu und folgte ihr dann nach oben, um die Patienten zu sehen. Zuerst untersuchte er Amelia, maß ihren Puls und berührte sanft ihren Bauch und ihre Beine. Die heitere Art, in der er Cissy begrüßte und ihr erklärte, dass sie alle zu viel gegessen hätten und es ihnen in ein paar Tagen wieder gut gehen würde, beruhigte Matildas Ängste ein wenig. Erst als sie nach unten gegangen waren, bemerkte sie seinen düsteren Gesichtsausdruck.
»Sie haben nicht zu viel gegessen, nicht wahr?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich wünschte, es wäre so, Mrs. Jennings. Ich fürchte, es ist die Cholera.«
Ihr stockte der Atem, und sie musste sich mit einer Hand auf dem Küchentisch abstützen. Nur selten überlebte jemand diese Krankheit, das wusste sie. Es war unbekannt, wodurch sie ausgelöst wurde, und außer der Verabreichung von Laudanum und der Maßnahme, den Patienten warm zu halten, gab es
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