Lesley Pearse
schrecklicher Gedanke, dass jemand, der gerade noch mit Vorfreude seine bevorstehende Hochzeit erwartet hatte, jetzt allein sterben musste.
»Hat er Ihnen eine Nachricht für Cissy anvertraut?«
Der Arzt nickte. »Dass er sie liebt und um ihre Gesundung betet. Doch Mrs. Duncan soll nicht von seiner Krankheit erfahren.«
»Was ist mit Tabitha?«, erkundigte sie sich.
»Ihr geht es gut. Sie wollte herkommen und Ihnen bei der Pflege der Kranken helfen«, berichtete er mit einem schwachen Lächeln. »Natürlich habe ich ihr das verboten. Sie hat mich gebeten, Ihnen auszurichten, dass sie für Sie alle betet.«
Den Tag und die ganze folgende Nacht über schuftete Matilda, tröstete Cissy und die Kinder, gab ihnen zu trinken, hielt ihnen Schüsseln vor den Mund und wusch und kleidete sie neu. Immer wieder spülte sie die gekochten Tücher aus und setzte neues Wasser auf. Peter bot ihr mehrmals seine Hilfe an, aber sie erlaubte ihm nur, die ausgekochten Tücher auf die Wäscheleine zu hängen, Holz für den Ofen zu hacken und frisches Wasser von der Pumpe zu holen.
Doch trotz all ihrer Mühen und Gebete fiel Amelia am frühen Morgen in das letzte Stadium der Krankheit, das der Doktor ihr beschrieben hatte. Sie lag nur noch still, beinahe leblos da. Ihr Gesicht war blau angelaufen, ihre Augen eingefallen, und ihr Atem ging kurz und beschwerlich. Ihre Haut war kalt und feucht, und es war kaum noch ein Puls spürbar. Matilda wusste jetzt, dass das Ende nahte.
Es fiel ihr schwer, ihre Gefühle zu kontrollieren. Sie war außer sich vor Zorn, dass ihr das einzige Kind genommen wurde. Schuldgefühle quälten sie, weil sie fortgegangen war, um Geld zu verdienen, und sie war bitterlich enttäuscht, weil sie nur so wenig Zeit miteinander verbracht hatten. Doch Matilda musste ihre Gefühle verbergen, denn sie wollte ihrem Kind in seinen letzten Momenten auf der Erde nichts als ihre Liebe schenken.
Während sie an Amelias Bett saß und ihr Koseworte zuflüsterte, bemerkte sie, wie Cissy sie still beobachtete. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt, denn sie wurde immer wieder von Krämpfen geschüttelt, aber sie gab keinen Ton von sich. Matilda wusste, ihre Freundin trauerte mit ihr, denn auch sie war Amelias Mutter gewesen.
»John und ich werden uns um sie kümmern«, versprach Cissy, und ihre Stimme war nicht mehr als ein Hauch. »Ich werde Lily und Giles erzählen, wie wunderbar du dich um Tabby gekümmert hast. Wir werden alle gemeinsam hinabschauen und auf dich Acht geben.«
Matilda drehte sich zu ihrer Freundin um und wollte sie gerade schelten, nicht so rührselig zu sein, aber Cissys Blick ließ sie innehalten. Es war derselbe wie der, den Matilda gesehen hatte, als Cissy damals im Keller das Baby Pearl auf Kosten ihres eigenen gestillt hatte. Edel, ehrlich und selbstlos.
Etwa zehn Minuten später starb Amelia. Matilda strich über ihr kleines, blau angelaufenes Gesicht, fuhr mit den Fingern durch ihre zerzausten Locken und wollte vor Schmerz aufschreien, aber das war nicht möglich. Susanna wurde immer schwächer, und sie sollte nicht spüren, dass ihre kleine Spielgefährtin verstorben war. Still schloss sie Amelias Augen, stand auf und ging zu Susannas Bett. Jetzt musste sie getröstet werden.
Sie hielt noch etwa drei Stunden durch. Matilda zog ihr Bett näher an Cissys heran, sodass sie ihre Hand halten konnte. Matilda setzte sich neben sie und redete mit ihnen, genauso wie früher, wenn sie die Kinder zu Bett gebracht hatte.
Sie sprach von der Hütte, den Tieren, den Obstbäumen und vom Baden im Fluss. Sie erzählte, dass Tabitha bald Ärztin sein würde, Peter ein mutiger Offizier in der Kavallerie und dass sie die glücklichsten Momente in ihrem Leben mit ihnen verbracht hatte.
Cissy bäumte sich auf, als Susanna aufhörte zu atmen, und Matilda fing sie auf. »Es tut mir so Leid«, flüsterte sie und umarmte sie fest. Sie waren Freundinnen geworden, als Matilda Cissy und ihren Sohn aus dem Keller gerettet hatte. Aber die kleinen Mädchen hatten sie zu Schwestern werden lassen – beide Kinder waren auf dem Treck zur Welt gekommen, sie waren fast gleichaltrig und erinnerten ihre Mütter immer an die guten Männer, die sie geliebt und verloren hatten. Cissy und Matilda hatten schließlich Trost darin finden können, dass ihren Töchtern eine wunderbare Zukunft bevorstand.
»Du solltest mich nicht umarmen«, warnte Cissy und ließ sich wieder auf die Kissen fallen. »Ich werde dir was erzählen, so leichtsinnig zu
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